In einer fremden Umgebung ist man auf Pläne und Straßenkarten angewiesen, zumindest dann, wenn man sich nicht überall hinkutschieren lassen möchte. Ich bin mit dem Plan aus dem Reiseführer und mit Google Maps am Handy ausgestattet und will nach Cho Lon, den ursprünglich eigenständigen Stadtteil, der vor allem von chinesischen MigrantInnen bewohnt wird. Das Problem ist, dass sich Dumont und Google nicht einig sind, was die Straßen angeht, aber ich hab bisher noch fast überall hingefunden und mache mich auf den Weg (Anm.: Ein kurioses Phänomen. Zu Hause in Wien verlaufe ich mich ständig).
Auf den Gehsteigen parken Mopeds, weshalb ich oft auf die Straße ausweichen muss und auf den Mopeds entspannen sich Männer. Wenn sie mich dann doch bemerken, erwachen sie aus ihrem Halbschlaf, winken und machen eine Geste wie kleine Buben, wenn sie spielen, mit dem Motorrad zu fahren. Heißt: Ich fahr dich irgendwo hin. Oder auch: Lerne Saigons Straßen und die Belastbarkeitsgrenze deiner Nerven hautnah kennen! Wenn ich vorbei bin, ziehen sie sich die Kappen wieder tiefer in die Stirne. Ein Segen sind die Straßenschilder an den Kreuzungen, die machen alles einfacher, deshalb komme ich dort entlang, wo ich es geplant habe.
Die Ware in den Geschäftsständen wird immer chinesischer, bunte Plüschtiere, Drachen, Stanniolstreifen, die das Sonnenlicht fangen, dazwischen immer wieder alte Bauten aus der Besatzungszeit, die schon lange geschlossen sind. Die Straßen werden, je weiter ich mich vom Zentrum entferne, schmutziger und schlechter zu passieren, und auch Touristen sehe ich kaum mehr.
Als dann, nach einem gut zweistündigen Marsch die Binh-Tay Markthalle vor mir auftaucht, feiere ich meinen kleinen Sieg, weder Google, noch Dumont hatten recht und ich hab trotzdem hingefunden. Und dann ist es doch ein bisschen seltsam. Die Halle aus 1920 ist einstöckig, aber zum Großteil leer, die Fassaden drinnen sind alt und in den Gängen wird der Tagesmüll zusammengekehrt.
Ich bin scheinbar schon zu spät dran, entweder um ein paar Stunden oder ein paar Jahre. Es fühlt sich ein wenig unheimlich an zwischen den Rollblechläden und den wenigen, doch besetzen Ständen. Vor die Rolltreppe, die schon lange nicht mehr in Betrieb ist, haben sie Neujahrsbäumchen gestellt.
Neben der Halle finde ich dann einen engeren Zweitmarkt mit getrockneten Fischen und Shrimps, der süßliche Geruch nimmt einem die Luft und ich drehe noch eine Runde, dann beginne ich den Heimweg.
Es ist weit, hin und zurück etwa elf Kilometer und mein Ischias erinnert mich irgendwann daran, dass ich alt werde, noch dazu war die Wahl von Sandalen als Schuhwerk nicht allzu durchdacht, ich werde es die nächsten Tage abbüßen.
Heute ist so ein Tag, da der Weg das Ziel ist und ich gehe mit den Augen an den Fassaden der Gebäude, über die brüchigen Sowjetbalkone und die zum Trocknen ausgehängte Wäsche, über die westlichen Werbeschilder und die Vietnamflaggen in Rot und Gold.
Als ich nach guten sechs Stunden wieder zu Hause bin muss ich ins oberste Stockwerk zu meinem Zimmer, wobei mich jede Stufe an die Blasen an der Ferseninnenseite erinnert. Beim Eintreten zerstöre ich eine Ameisenstraße, die sich unter der Tür weg zum Kühlschrank erstreckt, um dort den kleinen Kühler in Besatz zu nehmen. Ich mache die Eiskastentür schnell wieder zu (und werde sie nicht mehr öffnen), dann gönne ich den Füßen zuerst ein Bad im Kübel und dann Sneakers und mache mich auf die Suche nach Essen.
Die Nashi, die ich mir unterwegs gekauft hatte war gut, aber nicht genug. Wieder zieht es mich auf die Bui Vien wie die Ameisen in mein Zimmer und ich finde ein nettes Lokal, wo es gute Gemüsesuppe und W-Lan (wie in den meisten Lokalen) gibt, chatte, während ich auf die Suppe warte mit einer Freundin, die daheim gerade Pause vom Schneeschaufeln macht, wundere mich wieder einmal über Göttin Technik und lass mich später noch dazu hinreißen, mich in dem ärgsten Gedränge der Straße auf einen der Kinderplastikstühle zu setzen und ein zweites Coke durch den Strohhalm untrinkbar zu machen (15.000 VND. 50 Cent also). Der Lärm ist einlullend, einfach nur dasitzen und die Massen beobachten, die sich nach links und rechts schieben, die Mopeds, die sie durchmischen und die anderen Westler, die ebenfalls in den Stühlchen sitzen, eine Zigarette und ein Bier in der Hand und darauf warten, dass doch noch etwas passiert, alles ist wunderbar und macht mich glücklich. Gegenüber verkauft eine Frau gepresste Kraken, vor ihr stehen zwei auffallend hübsche Damen, beide in hohen Hacken und kürzestem Kleid. Zwei Männer reden sie an und sie lachen, es ist offensichtlich, worum es geht. Eine der Frauen hat das Preisetikett noch auf der Unterseite der Schuhsohle kleben. Indem sie auf das Motorrad eines Mannes steigen verschwinden sie aus meinem Blickwinkel, aber der Lärm bleibt und der Geruch nach Abgasen, gegrilltem Fisch und Räucherstäbchen.