Oslo // enten går det bra, –

Was ich am Weg finde
Einen Trödler.
Am Eingang wacht ein Rottweiler, aber er beachtet mich nicht.
Drinnen riecht es nach den Wohnungen abwesender Menschen.
Im Heizraum kann ich mir Schuhe und Taschen aussuchen.
Ich bleibe im Türrahmen stehen, weil mich die Privatheit überwältigt.
Vær så snill og holde orden her!!
Ingen som holder orden her.

Oder liegt die Ordnung gerade im Durcheinander? Ich gehe, ohne in die goldenen Schuhe geschlüpft zu sein, was ich jetzt, Wochen später, bereue.

Was ich am Weg finde
Kalte Fingerspitzen in den Jackentaschen.
Am Meer das Übergebliebene einer Möwe, sie liegt wie im Flug. Noch sind die Schwingen schwarz; in der Sonne täuschen Sie Krähenflügel vor.
Das ist das Meer, hier sterben die Möwen, nicht die Krähen.
Ich betrachte sie und betrachte mein eigenes Skelett in mir.
Mir fehlen die Flügel und die Krallen.
Meine Nase rinnt und ich gehe weiter.

Was ich am Weg finde
Kinderköpfe auf Konservendosen.
Kannibalische Nuance, feinste Leberpastete, aber von wem?
Wessen Spenderleber wurde hier abgepackt?
Ich wiege ein Döschen in der Hand.
Reich an Metall.
Reich an Öl, eigentlich.
Strahlend blau und blond und weiß und reich an vielem.
Ich lege die Dose zurück und kaufe eine Packung Karotten. Das trifft meinen Gusto besser.  

Was ich am Heimweg finde
Die Spuren der Nachtschwärmenden.
Das Vors[spiel] vor dem Höhepunkt der Nacht und  dem eventuellen Höhepunkt des Nachspiels, dann wenn alle von innen erglühen und kalte Hälse haben.
Kos deg, lille venn.
Der Rand der Pizza ist zu hart, aber kos deg mit Käse und Paradeissauce und Schinken oder Kinderleberpastete.
Kos deg, irgendeiner wird deinen Rest der Nacht schon wegräumen.
Ich schlage ein Stück Pizzarand in ein Taschentuch und nehme es am nächsten Tag mit zum Meer.
Mit zur toten Möwe.
Ich will die Lebenden füttern.
Sie schreien vom Himmel und verstehen nicht, was ich von ihnen will.
Das Randstück treibt am Fjordrand,
verschaukelt zwischen den Wellen, die ein Boot schlägt.
Irgendwann kann ich es nicht mehr sehen.

Tasse mit der Aufschrift: entweder geht es gut, oder es geht vorüber.

Oslo // Stein und støv.

Kunstwerk zwischen den Bäumen. Zwei Körper, schwebend, aus glänzendem Metall. Sie umarmen sich so gut es geht, ihre Körper sind von Auswüchsen umwickelt.

Am Rande des freischwebenden Paars sitzen Vögel,

sie spiegeln sich im polierten Material,

es spiegelt sich die Sonne und

es spiegelt sich der Himmel.

Ich spiegle mich, bin aber zu weit weg, um mich selbst erkennen zu können.

Anders im Vigelandpark; der Stein schluckt alle Reflektionen in seiner weißen, sonnenerhitzten Ewigkeit. Mein Schatten berührt die Steinriesinnen, streicht über ihre weichen Gesichter und Bäuche und dann finde ich selbst meinen Platz zwischen ihnen.

Wie ein Junges bewacht, wieder einmal auf die eigene Vergänglichkeit gestoßen, aber sie tut gut, die Vergänglichkeit.

Alles andere wäre nicht zu ertragen.

Oslo // Papierwald og Bladspiss

Laub am Boden und auf einem Sessel, daneben eine halbvolle Flasche.

Im Stadtwald (verkürzt auf: Parks, bakgårder, Erholungsgebiete) liegt der Herbst, auf den Straßen seine Reste in allen warmen Farben die unter den Schritten zerfallen. Ein Abschied ist das vom Jahr, unter dem Laub kommt die Weihnachtsbeleuchtung zum Vor-Schein.

Altlasten fallen mir aus den Augen und bleiben an meinen Schuhen hängen, als ich den Wald ergehe.
Løv zwischen Mauern und Hauswurzen
Löwen an Leinen, ausgeführt von Menschen in festem Schuhwerk und gebauschten Jacken.

Blätter, Gehsteigkante, Hauswurzen, Gitter.

Zwischen den Kreuzungen (Loises og Tereses gate møter hverandre. Og Pilestredet vil være med) in eine Telefonzelle gepflanzt ein neuer Wald. Drinnen kein Kabel für den Hörer aber ein Regal mit Büchern, Tauschwerk, dort steht es sich knapp, aber wenn die Türe geschlossen ist, drückt der Raum auf meine Ohren.

Draußen: die kleine große Stadt und das Straßenbahnknirschen.

Drinnen: Tinnitus und Buchtitelfetzen.

Jemand steht mit dem Gesicht an die Scheibe gedrückt und sondiert an mir vorbei. Ich bücke mich unter dem Blick.

An anderen Stellen: offene Papierwälder ergänzt durch Ungewolltes das [maybe, maybe] Freude macht, Gewissenserleichterungen, Neues kaufen zu können. Am Rand der Fußballwiese, am Rand der des Spielplatzes, neben der Backsteinkirche.

Offenes Bücherregal, Wasserkocher und Plastikorchidee

An anderer Stelle: Geschlichtete Blätter, überfordernd an die Innen und Außenscheiben des Antiquariats geschichtet.
Soll hier überhaupt gekauft werden.


?


Ein skeptischer Blick, als ich eintreten will, Hei in die Lippen gemurmelt, mehr aus Gewohnheit als aus Höflichkeit, aber ich störe. Er sitzt in einem Gang, schulternbreit, links und rechts aufragend getrocknetes Laub, gedankenbedruckt und belanglos geworden.
Im Frühjahr könnte man es wegkehren. Aber er wird es weiterhüten.

Bücherstapel hinter Scheibe.

Basic Patterns of Derangement

roses tilbud
More attachment to a city
in its autumn heart I find not only the twilit cold
one could expect
at the end of October
but layered structures that seem to exist in the strangest places.

Walking Oslo once again I wish for more
eyes to notice
more
hands to feel
more
memory to not forget.

The Golden Riot

st hanshaugen

Sometimes something gets stronger, shortly before it dies.

It rebels against the end, no one would have guessed.

Like the leaves. Look at the leaves.

Or like the sentiments of a year that is counting down the weeks. They creep over my back, while I stand looking over the Oslo Fjord, while I swish through the bright yellow dots in Slottsparken, while I squint at the sun.

I watch the last revolution of the trees; their end is marvelous.

 

 

Oslo//å ta imot kulden

Oslo streetart

  1. Grå

Im Wörterbuch steht unter grå „som har en farge mellom svart og hvit“. Dabei ist das Spektrum dessen, was zwischen Schwarz und Weiß liegt, doch unendlich.

Der Tag ist grau. Das heißt, weiße Wolken machen den Himmel aus und die Stadtfarben bleiben gedeckt. Nur der Boden glänzt vom Regen und von der feuchten Kälte, die auf allem liegt, auf den Dächern und den Autos und den Straßenbahnen.

(Graue Tage sind angenehm für die Augen, weil man nicht von der Sonne geblendet wird. Graue Tage sind introvertiert und unauffällig und wie Freunde, die man zufällig trifft und nach dem Verabschieden bemerkt, dass man gar nicht gefragt hat, wie es ihnen gehe.)

zerbrochener Boden Regenlake

Im Wörterbuch steht unter grå außerdem noch: „skya, trist, fargeløs“.

Im Møllerveien hat sich eine Gruppe unter dem Wartehäuschen der Busstation versammelt. Die zufällige Gesellschaft akzeptiert mehr Nähe als unter anderen Umständen, daran ist der nasse Wind schuld. Außerhalb steht einer mit Zigarette und verdreckten Jeans. Die wandelnde Metapher hat den überfüllten Wartehäuschenschutz freiwillig verlassen und hustet Rauch aus.

Haltestelle Oslo

2. Hvit

Wörterbuch: hvit; el kvit: „med samme farge som nyfallen snø„. Neuschneefarben. Der Duden ist weniger poetisch und sagt: von der hellsten Farbe. (Er wird sogar wissenschaftlich und doziert: alle sichtbaren Farben. Kompliziert.)

Anfang April trägt das Sognsvann in der nördlichen Osloer Marka noch eine dicke, brüchige Eisschicht. Das Eis hat die selbe Farbe wie der Himmel: hvit og grå.

Sognsvann zugefroren Steg

Um den See führt ein planierter Wanderweg, nur dass nicht gewandert wird. Mit gemütlichem Schritt ist man ein Hindernis, das umlaufen wird, die Schnellen begegnen einem mehrmals. In ihren bunten Trainingsdressen verschwinden sie auch die nahen Waldwege hinauf, knirschen über die Schotterwege und dehnen nachher vor dem Kiosk ihre Sportglieder. Für die Schönheit von winterbraunem Gras am Ufer haben nur die Kinder Augen, die treten es in die Eislacken.

Sognsvann winter

Weil ich nicht laufe, sondern spaziere, habe ich Zeit, den Birkenwald anzusehen. Der steht zum Teil im Schmelzwasser, schwarzweiße Birkenstreifen mit nassen Füßen. Kommt man näher, saugt der Boden an den Sohlen.

Sognvann skog

3. Dyster

(Ordbok erklärt: „lite eller ikke opplyst“ und schlägt des weiteren vor: trist, tungsindig, mørk und melankolsk.)

Die Farbe des Wassers hängt zu fünfzig Prozent von seiner Sauberkeit und zu fünfzig Prozent vom Himmel ab. Vielleicht stimmt das Verhältnis so aber auch gar nicht. Auf jeden Fall schlägt einem der Fahrtwind entgegen, steigt man auf das Deck des Øybåt und das Rauschen überdeckt die Stille ringsumher.

Oslo Ferry

Die wenigen Touristen sind die einzigen, die den Bauch der Inselfähre verlassen. Sie machen Bilder mit Sturmfrisur, dann drängen sie wieder zurück in das tief wummernde, geheizte Innere des Bootes. Die Hovedøya, Bleikøya und Nakholmen ziehen an den Fenstern vorbei, die bunten Hütten auf ihren Rücken in die sonst graustufige Landschaft geduckt.

Insel6

4. Blå

Am Kopf der Operninsel sitzen zwei und lassen die Beine baumeln. Es muss ihnen nass durch die Hosen gehen, der weiße Marmor ist regenfeucht. Von den Scheinwerfen, die in den Boden eingelassen sind, verdampft das Wasser in weißen Kringeln. Vom Fjord her kommt nichts; kein Wind und keine Möwenrufe.

Oslo Operaen

Man hat das Gefühl, der Sonnenuntergang zieht sich ewig hin. Der Himmel schattiert sich vom stählernen Weiß zu einem electric blue, das lange über der Stadt hängt. Mit den Lichtern an der frischen Skyline der Dronning Eufemia Gate ergibt sich die Kulisse zu einem Tanzfilm der Sechzigerjahre; nur dass die Tänzer fehlen. Hier ist niemand, der das Bild stören könnte.

 

 

Oslo//Det betyr ingen verdens ting

Oslo Streetart Norway ends there

1.

Er hält ein Schild, auf dem steht: „Norway ends there. Where the sun is never shining.”

Dazu verzieht er das Gesicht hinter den dunklen Brillengläsern.

Es regnet tatsächlich und ich drücke den Knirps mit dem zu kurzen Griff gegen meinen Hals, um die Hände für ein Foto freizubekommen. Von der Straßenseite her kommt der feuchte Wind und bleibt in meinen Haaren hängen. Es ist Samstagmorgen und in der Kaffeebrenneriet sitzen Menschen mit Halbmastaugen an den Fensterscheiben, davor oder dahinter und warten, was das Wochenende bringt.

Kaffeebrenneriet Oslo

2.

bære lækkert Oslo Postkarten

In der Storgate gibt es einen Innenhof* und in dem Innenhof unter dem Dach des Säulenganges, stehen abgeschlagene Kommoden und Kisten mit Postkarten. Eine Kiste hält sie zu tausend, übereinandergeschlichtete Nachrichten von Einzelmenschen an Familien oder umgekehrt, frankiert med hilsen fra. In den Grüßen zu wühlen fühlt sich falsch an und ich schlichte sie von einer Seite auf die andere, als plante ich ein Kartenspiel, dann suche ich mir drei aus (später weiß ich nicht mehr, weshalb ich mir drei Weihnachtskarten genommen habe).

Auf einer steht:

God jul og godt nyttår. Marie in sauberer, runder Schrift und der Poststempel datiert vom 22.12.1960 (Bergen).

Auf der anderen steht:

Hei farmor!

Takk for julekort vi fikk i dag. Øystein er på julebord på K.N.A. i kveld (så jeg er hjemme ålene for første gang i ny huset. Jeg var på butikken i dag og kjøpte meg tre julestjern så na har jeg pyntet. Juletre har vi og tatt i hus. Men ute er det ingen ting som minner om at det snart er jul, vind og regn. Så vil vi onske deg en riktig god og et godt nytt år.

Øystein – Sonja.

(Danke für die Weihnachtskarte, die wir heute bekamen. Øystein ist heute Abend bei der Weihnachtsfeier des K.N.A (wohl die Abkürzung für Kongelig Norsk Automobilklub?) (somit bin ich zum ersten Mal alleine im neuen Haus.) Heute war ich im Geschäft und habe mir drei Weihnachtssterne gekauft, also hab ich aufgeputzt. Einen Weihnachtsbaum haben wir und er ist schon im Haus. Aber draußen ist nichts, dass daran erinnert, dass bald Weihnacht ist, Wind und Regen. Nun wünschen wir dir ein richtig schönes [Weihnachtsfest] und ein gutes neues Jahr. Øystein – Sonja)

Es ist eine SOS-Kinderdorfkarte, abgestempelt am 22.12. 1988 (Stavanger)

Die dritte Karte frankiert, aber leer. Auf der Briefmarke steht Norge 25 und außerdem ist da ein Bild von Kong Olav 5 in frischem Alter.

bærre lækkert postkort Oslo

Im Antiquitäteninnenhof gibt es auch Mickey Maus Hefte aus den 90ern. Mickey heißt hier Mikke Mus und die Seiten sind wellig vom Wetter.

*http://berrelekkert.no/

3.

Deichman Bibliotek

In der Deichman Hovedbibliotek steht DADA über dem Abendprogramm. Die Sitzreihen sind eng gestellt, Bier oder Wein im Pappbecher kostet 75 Kronen. Das Publikum: Septumringe und Windfrisuren und geometrische Tätowierung, ein Geist schöner als der andere.

didaktisk dukketeater

Der Handkasperl im didaktisk dukketeater sagt: Det sier seg selv, at kreative innovasjonsaktiviteter avhenger av prossesorienterte fleksibilitetskompetanser. Dann schießt er Funken aus einer Phallussprühkerze. In der Pause gehe ich auf die Toilette und bin enttäuscht, dass die schönen Nachrichten weggewaschen wurden, die damals noch auf den Fliesen gestanden sind.

Was da stand, als ich vor zwei Monaten hier war:

Toast is bread held over direct flame until crisp.

Jeg vil være fri og fanget på samme tid…

4.

Oslo T Banedrift

Am Abend geht der Plan, von einer Anhöhe aus auf die Stadt herab zu blicken, nicht auf. Ab Voksenlia liegt Schnee auf den Bahnsteigen und mein Gesicht spiegelt sich blass in den Scheiben des leeren Zuges. Da, wo ich hinatme, bilden sich schmale Rinnsale.

Die Endstation Frognerseteren steckt in Nebel, dahinter gibt es nichts außer Dunkelheit und Wald (?). Irgendwo sind die Menschen hin und sie haben die Stadtlichter mitgenommen.

T banedrift oslo

Oslo// Omvendt hjemlengsel

Oslo Opera

Meine teure Aussicht ist ausgewaschen und klar, bis über die Stadtgrenzen hinaus. Ich bleibe bei ihr stehen und sehe den Enten zu, die am Akerselva-Ufer im nassen Gras liegen. Dann packe ich den Koffer fertig.

Die Wehmut darüber, dass ich in einigen Stunden wieder zum Flughafen muss, macht den Kaffee schal, die Orangenmarmelade fad und mein Brunost Knekkebrød spröde. Ich esse langsam und untersuche derweil den Stadtplan.

Meine teure Aussicht Oslo

Meine Aussicht hat mir jeden Tag das Norsk Design og Arkitektur Senter vorgehalten und am letzten Tag schaffe ich endlich den Sprung über den Fluss hinüber. Ich stehe schon vor der Tür, als geöffnet wird und drinnen riecht es nach frischem Kaffee.

Storting Oslo Parlament

Dann beschließe ich, politisch zu werden, zumindest passiv. Darunter verstehe ich, im Storting zu sitzen und dem Tagesprogramm zuzuhören. Der Parlamentssaal ist ein Prunkraum aus Gold und Rot und keltischen Knoten in den Deckenmalereien. Ich sitze oben in der Galerie und unten stellt sich Erna Solberg der spørrtime. Die Staatsministerin ist in ihrem blauen Kostüm eine beachtliche Erscheinung. Es geht um Asylsucherzahlen und um Arbeitslosenquote und meine Augen kratzen vor Müdigkeit, weil die Nachtstunden kurz waren. Siv Jensen sitzt in der Nähe, wippt mit den Stöckelschuhfüßen und ist, im Gegensatz zu den meisten anderen im Raum, nicht mit ihrem Handy beschäftigt. Nachher gibt es ein Pressetreffen, das sehe ich durch die geeisten Fenster am Weg hinaus. Wahrscheinlich komme ich heute ins Fernsehen, wie ich hinter Erna als seltsam umrissener Geist mein Gesicht gegen die Scheibe halte.

Oslo sjø

Natürlich muss ich noch einmal zum Meer hinunter. Am Weg hin komme ich am Filmmuseum vorbei und kehre kurz ein. Das nächste Mal komme ich mit mehr Zeit wieder, so rausche ich an Laterna Magicas und Filmplakaten aus den 20ern vorbei, ohne lang genug hinzusehen.

Runway oslo 1

Von weitem stimmt mich die Oper wieder freudig, meine geliebte Marmorinsel. Aber als ich näher komme, sind die Drehtüren noch geschlossen und vor dem Eingang hat sich ein speziell gekleidetes folk versammelt, das auf den Einlass zum Oslo Runway AW 16 wartet.

Runway Oslo AW 16

Ich verlasse die spannende Hipster Bonanza und wandere die Hafenpromenade weiter. Vom Fjord her fehlt heute der Wind und die drei, vier Grad sind ein ideales Spazierwetter, wenn man mit Mantel und Wollmütze unterwegs ist.

Nornen Oslo skip

Da liegen tolle Schiffe vertäut und wenn ich mich mit Schiffen auskennen würde, würde ich vielleicht mehr Fotos machen und über das eine oder andere einen kleinen Nerdgasm loslassen. So sehe ich aber nur große und kleine Schiffe, Schiffe, die nach Wachen und Verteidigen oder nach helgetur aussehen.

Dahinter liegt das Meer still und glatt unter dem wieder weißen Himmel. Ich bleibe am Promenadenufer stehen und denke an gar nichts.Oslo sjø

Als es Zeit ist zu gehen, hat sich die Müdigkeit in Resignation und verkehrtes Heimweh verwandelt.

Oslo Streetart

Oslo// Her kommer fargene

Rosen und Tulpen

Meine teure Aussicht ist sich nicht sicher. Soll sie sich weiterhin durchwölken, oder doch vielleicht bis zum Holmenkollen aufmachen? Ich lasse sie alleine und gehe hinunter zu Brunost und Knekkebrød. Soll sie sich derweil überlegen, was sie denn will.

Es hat aufgehört zu regnen, was mein Wandern erheblich bequemer macht. Den Schirm habe ich im Zimmer gelassen, dahinter steht so etwas wie positivistischer Trotz. Heute wird ein guter Tag.

Beim Frühstück habe ich mir überlegt, eine Harry-Hole-Runde zu machen. Wer Harry Hole nicht kennt, kennt auch Jo Nesbø nicht und wird sich entsprechend wenig darum scheren, aber nur soviel: mein schönes Vorhaben hat sich verlaufen. Ich habe mich bei meinem schönen Vorhaben verlaufen. Harry Hole ist verloren gegangen.

Das Fyrlyset in der Urtegata 16A finde ich noch, aber davor haben sich Bedürftige versammelt, die auf eine warme Suppe der Heilsarmee hoffen, darum lasse ich Fotos bleiben, stehe nur kurz in der mir nicht ganz geheuren Gasse, bevor ich zum botanischen Garten spaziere.

Botanisk hage Oslo

Im Februar und bei Tauwetter einen Blumengarten zu besuchen, ist nur bedingt sinnvoll und ich überlege mir zweimal, ob ich Bilder von den wintergefrorenen und wieder weich gewordenen Pflanzen machen soll, die über die Ränder ihrer Beete hängen. Im Glashaus ist noch mehr Leben, da drückt sich der Lavendel gegen beschlagene Scheiben.

Botanisk hage oslo

Mein Weg führt mich wieder, wie magisch angezogen, den Akerselva hinauf, heute zum ersten Mal bei Tageslicht. Das Eis der letzten Tage ist fast gänzlich weggeschwemmt und das Wasser dunkel.

Sagveien

In der Umgebung der schönen Ziegelfabriksbauten ist das Arbeitermuseum. Ich lege die Hand auf den Türknauf, aber es ist stengt, auch wenn die Öffnungszeiten Museumsspaß verkünden. Ich lungere noch kurz vor dem Museum herum, dann mache ich mich auf in die Sofies gate, wo Harry Hole wohnt.

Oslo Stilleben Straße

Nur, dass ich nicht hinfinde. Wie ein Schiff mit Schlagseite zieht es mich zum Schloss und zum Meer hinunter, der Kapitän ist miserabel im Kartenlesen, IPhone hin oder her. Am Weg mache ich dafür Fotos von allem Möglichen, komme an der Mathalle vorbei und kehre ein.

Im Gegensatz zu den meisten Märkten, die ich bisher gesehen habe, ist die Osloer Mathallen ein aufgeräumtes Architekturjuwel, das Luxus atmet. Am Eingang riecht es nach einer scharfen Gewürzmischung und nur dezent nach gebratenem Fisch. Hier geht nicht der Pöbel einkaufen, der steigt im Kiwi ab, hier kostet das Rugbrøt 40 Kronen und Tørrfisk von den Lofoten 500.

Poldi und Mucki Brennerieveien Streetart

Anstatt zurück zu Harry Hole in die Sofies Gate zu spazieren, bleibe ich im Brennerieveien hängen, wo die spannendste Straßenkunst an die Wände gemalt ist, dann setzte ich ein letztes Mal an – und schlage wieder in die alte Kerbe hinunter zum Meer. Harry, beklager, jeg kommer ikke i dag.

Frogner Oslo Villa

Nachdem das Arbeitermuseum heute nicht gearbeitet hat, ich aber trotzdem in Museumslaune bin, spaziere ich weiter hinauf zum Vigelandpark. Hinter dem Schloss beginnt das Edelpflaster. Hier sind die Leute reich. So reich, dass sie sich zu ihren jährlich renovierten Fassaden auch noch die Sonne kaufen. Die Gyldenløves gate hinauf zum Park nehme ich mit offener Jacke und geblendeten Augen. Das Licht fällt aus dunkelblauen Wolken.

vigeland park

Beim Park stehen zwischen den wunderbaren Figuren Touristen mit Selfiestangen. Auf jedem Selfie, den ich unabsichtlich quere, kann man sehen, dass ich abfällig schnaufe. Ein chinesisches Paar fällt beim Versuch, den richtigen Hintergrund für ihr Stangenselbstportrait zu finden, beinahe die Vigelandstiegen hinunter. Die Nacktheit der Figuren ist so unschuldig, dass es scheinbar auch die prüdesten Touristen nicht davon abhält, ihre Gesichter vor steinernen Geschlechtsorganen abzubilden.

Als ich endlich ins Stadtmuseum komme, das auch im Park liegt, bin ich von meinem fünfstündigen Gewandere müde und hungrig. Ich sehe mir lustlos den Teil der Ausstellung an, für den ich nicht extra die Garderobe abgeben muss, dann überlege ich mir einen Plan für den Nachmittag.

Karl Johan Oslo

Natürlich zieht es mich zurück in die Deichmanske Bibliothek, diesmal das Hauptquartier. Es sind bedeutend mehr Leute unterwegs heute, scheinbar sind sie von den späten Sonnenstrahlen herausgelockt worden.

Der Himmel treibt derweil sein Farbenspiel und ich bleibe gerührt stehen und mache Bilder. Die Farben sind neu und cremig und sie explodieren in mir.

Youngs torget oslo

In den Bibliothek denke ich an die Szene aus „The Beauty and the Beast“ wo Belle zum ersten Mal die Bücher zu sehen bekommt. Die Wände sind hoch und gefüllt, ich bin so angetan, dass ich dreimal mit meinem Laptop umziehe, weil ich nicht weiß, wo es mir am besten gefällt.

Als die Bibliothek schließt, ist der Himmel schon dunkel, aber sein Brennen ist mir geblieben. Es sticht ins Hirn und in den Bauch und breitet sich in der Lunge aus. Könnte ich die Stadt einatmen und mitnehmen, würde ich tief Luft holen dafür.

090216

 

 

Oslo// Sludd i halvmørket

Möwe Oslo Fußring

Am Morgen ist meine schöne Aussicht verschwommen hinter der Scheibe.

Ich denke über Pläne nach, die mich tagsüber beschäftigen sollen, als ich beim Frühstück Brunost auf Knekkebrødsplitter lege. Die Kantine ist groß und die Teller klappern. Ich sitze alleine und lese Zeitung. Neben mir sitzt einer alleine und liest Zeitung. Wir lesen gemeinsam alleine Zeitung. Dabei fällt mir ein, dass ich das Meer noch gar nicht gesehen habe, dabei ist es doch so herrlich.

Mein Schirm ist eine verkehrte Insel. Rundherum fällt der Regen von oben nach unten. Das tut er nicht immer. Wenn er sich mit dem Wind zusammentut, fällt er schräg und trifft trotz der Schirminsel.

opera Oslo Fjord

Als ich die Oper sehe, gibt es mir einen positiven Stich knapp unter dem Zwerchfell. An ihrem Ufer ist der Fjord noch gefroren. Ich steige den Marmorberg hinauf schaue von allen Seiten auf die Stadt. Von der Baustelle herauf knirschen die Kräne, unterlegt von einem tiefen Brummen. Sie müssen eine Senke auspumpen, die ist voller Schmelzwasser und Regen.

Tjulvholmen Hafenpromenade

Am Wasser ist der Wind bissig. Ich wandere bis zur Tjuvholmenspitze vor. Ein Cruiseschiff schiebt sich aus seinem Standplatz, es ist so groß wie ein Haus. Ich denke darüber nach, dass es schlussendlich von nur einem Menschen gesteuert wird, der an der einen oder anderen Stelle den Befehl dazu gibt, jetzt verkehrt aus dem Hafen zu fahren. Es sind Ameisenleute auf Deck.

Meer Graublau Oslofjord

Ich stehe oben an der Festungsmauer von Akershus, als der Schneeregen beginnt. Schnegen. Er patscht auf die Schirminsel und rutscht an den Seiten entlang. Auf der anderen Seite steht eine Wache in akkurater Haltung. Am Weg hinunter komme ich am Stall vorbei.

hest Akershus Festning Pferd

Meine Pläne verlaufen sich heute ein wenig. Ich habe gelesen, dass eine Ausstellung im Radhus ist und sehe sie mir an, dann gehe ich in die Nationalbibliothek. Ich suche mir das schönste alte Buch aus, das im Freihandbereich steht und nehme es mit zu einem der Arbeitsplätze. Es ist ein Stats-Calender aus 1850, Christiania steht dabei. Damals hieß Oslo noch so. Christiania.

Der Schneegen ist zu kalten Niesel ausgedünnt, als ich über den Schlossplatz gehe. Heute fehlen die Touristen, die Wachen führen ihr Fersengeklapper und Gewehrpräsentieren ganz umsonst auf. Am Weg nach Grünerløkka kaufe ich wieder Smågodt, Saltzlakritzfische die sich nicht zerbeißen lassen.

Det Kongelige Slott Oslo Palace

Die Deichmanske Bibliothek scheint mir eine gute Idee, mit meiner Schreibarbeit weiterzumachen und ich setze mich in den ersten Stock, wo niedrige Ledercouches zwischen weißen Regalen mit Comics stehen. Im Nebenraum geht das Geschnatter einer Sprechrunde, leider bin ich zu spät und alle Tische sind voll. Mit einem Ohr überhöre ich ein Gespräch zwischen der Bibliothekarin und einem alten Mann, der gekommen ist, um Ansprache zu haben. Sie erzählt ihm, dass am Abend noch eine Zeichenstunde stattfinden würde und ich beschließe, dafür zu bleiben.

Deichmannske Bibliotek

Motiviert von meinem einsamen Kreativausbruch im gestrigen Kunstnernes Hus (ohne Felix) setze ich mich in den Raum, der, nachdem sich das bunte Geplauder der Sprechstunde aufgelöst hat, umso stiller ist, an den Tisch zu drei anderen. Es sind junge Männer, einer hat seinen Laptop dabei uns zeichnet digital, der andere spricht mich freundlich und leicht verdutzt an.

Es klärt sich, dass es ein Thema gibt, an dem gemeinsam gearbeitet wird, Once Upon A Time und sie würden gemeinsam ein Comic Panel kreieren. Es klärt sich auch, dass die drei Künstler mit eigenständigen Veröffentlichungen im Bereich von Comic und Kinderbuchillustration sind und dass ich mit meinem kratzigen Fineliner keine weiten Sprünge machen werde. Die Burschen sind talentiert und ich sitze mit ihnen am Tisch und sehe ihnen beim Zeichnen zu, ein bisschen ausländischer Creep mit roten Flecken auf den Wangen, der sich da hineinverirrt hat, ohne irgendetwas Sinnvolles beizusteuern.

Nach einer Stunde verabschiede ich mich und sie sagen, ich soll wiederkommen, wenn ich wieder in Oslo bin und ich wünsche ihnen viel Glück für ihre Projekte.

Am Abend mache ich noch einmal meine Akerselvarunde, es hat beinahe zu regnen aufgehört. Das Wasserfallrauschen ist lauter als meine Musik, aber unendlich beruhigend. Ich stehe dort, bis mir zu kalt wird, dann lasse ich es gut sein und spaziere heim.

Streetart oslo brennerieveien