Die wilden Freuden am Berg

Es ist ein altes Klischee, dass junge Österreicher und Österreicherinnen auf die Ski geschnallt werden, sobald sie alleine stehen können und es trifft schon lange nicht mehr zu. Diejenigen, die ihre Kinder zwischen Knie und Stecken klemmen und den Hang hinunter rutschen werden weniger, was aber nicht heißt, dass die Skischulen nicht noch immer ihr Geld mit Zwergen verdienen, die aus Helm und großen Schuhen zu bestehen scheinen. Und als Kind war alles anstrengend. Der Skianzug, in dem man steckte und sich nicht ordentlich bewegen konnte, die sperrigen Ski, die immer verrutschten, wollte man sie tragen, die Schuhe, die eng waren und zwickten, die Kälte, die Sonne, das Rauf und Runter, das Hop und Bogerl. Die Lust am Schnee ist erst später gekommen und dann richtig. Ein Problem am Skifahren scheint unvergänglich mit dem kindlichen Abquälen verbunden – lernt man das Fahren nicht schon im kleinen Alter, wo Menisken und Kreuzbänder unmenschlichen Belastungen gewachsen zu sein scheinen, dann wird es später eine Herausforderung, die sich nur wenige antun.

Einmal erlernt bleibt die Technik auf wundersame Weise im Hirn gespeichert und entfaltet sich jedes Jahr zur selben Zeit aufs Neue, im Februar oder März, wenn auch endlich die gefürchteten Wiener den Semmering verlassen und im Land einfallen, um den Lokalen zu zeigen, wie gut sie auf den Skiern sind.

Gastein eignet sich hierfür bestens, eine Erfahrung, die sich über Jahrzehnte hin bestätigt hat. Das Gebiet ist reich an bestens präparierten Pisten und Möglichkeiten, auch neben dem Schneezauber seine Zeit zu vertreiben. Was dazu gehört, kommt schnell in Erinnerung, sobald man das erste Mal aus dem Auto am Parkplatz im Angertal steigt. Die knieweiche Haltung der Skischuhtragenden, die Rutschpartie am Klo und die verwirrende Erkenntnis, tatsächlich vier Schichten auch wieder anziehen zu müssen, ein Portemonnaie, das mit jedem Tag an der Kassa erheblich erschlankt, das Tragen der Ski auf der Schulter und die damit verbundenen Rostflecken, sollten die Skier über den Winter in einer feuchten Ecke im Keller vor sich hingeschimmel haben, oder den zerschnittenen Handschuhen, sollte das Service zu ambitioniert ausgefallen sein. Das erste Anstellen beim Lift oder der Gondel, die verschlagenen Ohren beim Hinauffahren, der erste Wind beim Aussteigen und dann das Anschnallen und ausprobieren der Einstellungen, die ersten Bögen die man nimmt wie ein Anfänger und das wachsende Selbstbewusstsein bis zum ersten Verschneiden. Und zu Mittag die Kantinen mit ihren Germknödel, Pommes, Erbsensuppen und Cola Flaschen. Sonnencremeduft auf der Terrasse, Menschen die in ihrer ruckigen Skischuhgangart Tabletts mit heillos überteuerten Bier balancieren und welchen, die sich in der Sonne ihres Anoraks entledigt haben und die weißen Eulenaugen unter der Skibrille in die Höhensonne halten (um am Abend über den Sonnenbrand auf der Nase zu klagen) Das Rauf und Runter im Schnee, der Spaß am engen Wedeln oder den ausgedehnten, flotten Bögen zwischen Tannenbäumen und, weiter oben, aufragenden Felsen, die von den bunten Skifahrern weiß Gott was halten. Erschöpf und voll der guten Luft kommt man nach vier am Parkplatz an, schält sich aus den Schuhen und betastet die schmerzenden Oberschenkel, freut sich aber schon auf den nächsten Tag. Die Luft hier herunten scheint schlagartig verdickt zu sein von den Abgasen der paar Autos, aber noch schlimmer wird es, wenn man eine Woche später wieder in Wien ankommt. Bis dahin ist aber noch Zeit. Und am Abend erfährt die Vorfreude auf den kulinarischen Höhepunkt der genussvollen Kohlenhydratverwertung endlich Befriedigung: Salzburger Nockerl die plötzlich sorgfältig vergrabene Assoziationen wecken. Süß wie die Liebe und zart wie ein Kuss.

Die kaiserliche Geisterstadt

Bad Gastein Pongau

Zugegeben, Geisterstadt ist eine Übertreibung, wenn auch eine schwache. Nicht zu vergleichen mit den seit Jahren verlassenen Häuschen und Tankstellen entlang der Route 66, aber immerhin leer genug, um seit Jahren einen bitteren Unmut zu schüren. Bad Gastein liegt in den Fuß des Graukogels gefräst, herausgewachsen aus der steilen Umgebung und dabei nicht zurückhaltend. Zumindest damals, als die Perlen an der Felswand zu gedeihen anfingen, so das Grand Hotel de L’Europe in 1909, oder über hundert Jahre früher, das Badeschloss. Luxusgebäude in Ausmaßen, die der damaligen Monarchie zur Ehre gereichten und dementsprechend Anlaufstelle für die Elite des Landes. Spaziert man heute durch Bad Gastein bleibt ein seltsamer Eindruck zurück. Hinter Baugittern sterben die alten Nobelanwesen vor sich hin, zumindest die vier, die vor einigen Jahren vom Wiener Franz Duval gekauft wurden, ein Spekulationsgeschäft, das der Gemeinde einen kurzen Segen bescherte. Duval kaufte und, was an sich sein gutes Recht ist, wartet darauf, wieder verkaufen zu können, nur schabt die Zeit an den Fassaden, den Dachrinnen und den Fensterstöcken der Gebäude, die seit Jahren leer stehen. Das Hotel Straubinger, das Badeschloss, das Haus Austria und das Kongresshaus haben ihren alten Glanz eingebüßt (sofern sie ihn je hatten mögen einige im Bezug auf den Kongress anfügen), im Hotel Europa ist das Casino beheimatet, aber das füllt noch lange nicht dieses Schloss von einem Hotel. Der Stillstand ist eingezogen in die Häuser, die unter Denkmalschutz stehen und es ist schade darum. Aus der Felswand bricht der Wasserfall, der mit seiner penetranten Feuchtigkeit die Gebäude berührt und weiter oben erwacht endlich das Leben der Gemeinde. Dort, neben der Felsentherme und dem Bahnhof, züngelt die Skipiste herein, ein Grund, warum sich Ausdauernde mit knirschenden Skischuhen das Bergauf und Bergab des Stadtzentrums antun und unter ihren Anoraks schwitzen, wenn sie mit den Skiern auf der Schulter nach oben wandern. Das Zentrum interessiert wenige und wird hin und wieder von einer Red Bull Veranstaltung aus dem Dornröschenschlaf gerissen, dann sinkt es wieder zurück hinter die halbherzigen Bauzäune und die heruntergelassenen Jalousien.