København//Den kongelige havfrue

Højt til hest som Kong Christian

Der Stadtplan liegt über dem Rugbrød und den Gurkenscheiben am Frühstückstisch, dahinter dampft starker, schwarzer Kaffee. Ich habe aus dem gestrigen Valby-Wandertag gelernt und orientiere mich nicht mehr am Handydisplay, sondern doch lieber wieder am Papier, das an den Bugstellen bricht. Als ich wieder aufschaue, fragt der Australier vom Vortag, ob er sich zu mir setzen kann. Er sieht eher aus wie ein Schwede oder ein Finne, denke ich mir, als wir uns über den schönsten Weg zur Meerjungfrau beratschlagen, dann ist der Kaffee kalt, aber die Vorfreude auf die Stadt groß.

Amalienborg

Am Vormittag ist die Kronprinsengade noch nicht so touristengesättigt, wie sie es später sein wird, und auch über den Amalienborg Slotsplads kommt man ohne im multilingualen Fotomotivsuchen im Weg zu stehen. Unter ihren Fellmützen müssen die Soldaten glühen, die armen Kerle in dieser Hitze, aber sie bewahren Haltung und stehen still.

Kastell

Im Wassergraben vor dem Kastellet steht ein Hecht so bewegungslos wie ein Stück Holz. An seiner Nase vorbei ziehen Rotfedern und wir spiegeln uns zwischen den Seerosenblättern. Mein Begleiter wird auf Dänisch angesprochen und freut sich über die gelungene Täuschung. Derweil wird es wärmer.

Kopenhagen Meerjungfrau

Die Dichte an Touristen kündigt schließlich die Nähe zum unhinterfragt meistfotografierten Highlight der Stadt an, am Ufer reihen sie sich und heben die Handys über die Köpfe, um freie Sicht auf das Meermädchen zu bekommen, das, wie beschämt vom ganzen Rummel, das Gesicht abwendet. Wir stehen eine Weile an der Uferkante und sehen zu, ob einer Fotojäger in seiner Sandalentracht womöglich ein Opfer der überspülten Steine wird, aber die Meute bleibt trocken.

Kongens Have

Am Weg zurück in die Innenstadt erzähle ich meinem Compagnon die Andersens’sche Variante des Märchens von der kleinen Meerjungfrau und er beschwert sich im Scherz über das fehlende Happy End, dann öffnet sich der Himmel und schickt und warmen Sommerregen.

Kongens Have

Am Nachmittag dann sammeln sich entspannte Gruppen im Kongens Have und picknicken zwischen den alten Bäumen. Da, wo Geburtstag gefeiert wird, stecken Fähnlein in der Erde und man sitzt mit überkreuzten Knöcheln und trinkt aus Sektgläsern. Die dunstige Wärme drückt auf die Agilität der Besucher, drüber vor dem Rosenborg Slot legen sie sich ins Gras und warten die Regenschauer unter der Linde ab.

Rosenborg

Es wird Zeit zu gehen, die letzten Stunden verplätschern unten am Meer mit seinen bunten Schiffchen.

Kopenhagen

Wien// Donauinsel

Wir haben uns eine Insel gebaut. Dort, wo vor fünfzig Jahren noch der Fluss in seinen Verästelungen über das Land geschwemmt ist, herrscht seit den 1970er Jahren Regulation. Die Hochwasserkatastrophen wichen dem künstlichen Damm, den Fahrradwegen und Grillplätzen, den 2 Millionen Bäumen und 3 Millionen, die das jährliche Donauinselfest bevölkern, den Hasen und Bibern und Schwänen, den Wildanglern und FKKlern, den gemauerten Tisch-Bank Ensembles und SonnenanbeterInnen und den Liebesnestern aus umgetretenen Gras. Auf der Donauinsel verschwindet die Stadt hinter den Silberpappeln.

to my dear english readers: all my days I will sing in praise of your forest, waters, your shining sand.

 

Stockholm Tag 2// Njut mig.

Gamla Stan

In der Früh, als ich aufwache, schaut Stockholm mit goldenen Augen in mein Zimmer. In Gamla Stan schmilzt die Sonne die Eiszapfen und den Schnee vom Vortag, von den Dächern wehen Eiskristalle und flimmern im Gegenlicht. Im Schatten ist der Wind immer noch bissig, aber wer geht nicht auf der Sonnenseite der Straßen, wenn er es sich aussuchen kann?

Gamla Stan

Mir steht der Sinn nach Abenteuer und ich kaufe mir ein 24 Stunden T-Banan Ticket. Am Stadtplan suche ich mir den Namen aus, der mir am besten gefällt und der am weitesten entfernt liegt. Akalla, klingt großartig, oder Norsborg, oder Österskär  – aber Hässelby strand – da will ich hin.

Stockholm

Meine Vermutung, dass die Tunnelbana irgendwann nur zu einer Bana wird und an die Oberfläche kommt, bestätigt sich dann auch und ich freue mich an dem Himmel, der blau über der Landschaft steht.

Åkeshov slott

Bei Åkeshov steige ich aus, weil ich an einem Verkehrsschild Åkeshovs slott lese und weil es mir hier gefällt. Der Schnee ist noch nicht geschmolzen und liegt sauber auf den Wiesen hinter dem Herrschaftsgebäude aus dem 18. Jahrhundert. Es ist Samstag und die Leute gehen mit ihren Hunden spazieren, an der Reitschule vorbei in den angrenzenden Naturpark Judarskogen. In der Allee spielen Meisen und singen Mittagslieder.

Åkeshov slott allee

Ich mache einen Spaziergang durch knöchelhohen Schnee, die Hände in den Taschen wo sie klamm sind. Nichts treibt mich an, mich zu beeilen und das ist mein Luxus. Im Park bleibe ich auf einer Holzbrücke stehen und schaue in das zugefrorene Wasser. Außer den Vögeln höre ich nichts.

Später fahre ich aus Neugierde noch bis zur Endstation Hässelby strand, wo es zu meiner Enttäuschung zwar kein Meer gibt, dafür rauchende Buben, die auf Stunk aus sind. Nur, um einen kleinen, kolonialen Funken auszuleben, ignoriere ich ihr herausforderndes Krähen und mache ein paar Schritte in der Umgebung der Station – Reihenhäuser mit gleichfarbigen Balkonen, bevor mir die Lust vergeht und mich die nächsten T-Banan zurück ins Herz der Stadt bringt. In den Straßen und quer über die Plätze ziehe ich meine Spuren ohne Karte, die Sonnenwärme im Rücken oder auf der Stirne.

Gamla Stan

Die Stadt ist heute gut besucht, das macht das Wetter und das Wochenende. Vom Kai der Altstadt fahre ich mit der Fähre hinüber nach Djurgården, wo ich gestern schon war. Diejenigen, die sich vorne am Bug vom Schiff versammeln sind Touristen, der Rest der Fahrgäste kennt die Fähre und die Möwen und das Wellenplatschen und die leuchtenden Häuserzeilen, die fast direkt ans Meer gebaut wurden und bleibt im Fährenbauch, wo es bedeutend wärmer und weniger zugig ist.

Ladugårdslandsviken

In Djurgården dränge ich mich mit den anderen Wochenendlern durch Liljevalchs Konsthall, dann spaziere ich zurück in die Altstadt. Heute muss die Wache nicht dem Schneeregen entgegenhalten, aber trotzdem hat sie Rosen auf den Wangen. Der Himmel würde den Frost nicht vermuten lassen.

In der Västerlanggåtan, kurz vor meinem Hotel, passt mich Stockholm ab und blinzelt mir einmal zu. Ich verstehe, was es meint: Hab ich es dir nicht gesagt, min kära? Tack så mycket, liegt mir auf der Zunge. Der Abend dämmert über den engen Gassen herauf. Ich mache mich auf den Weg.

Gamla Stan Kungliga Slottet Wache

Wien//Schnee

Wenn der Schnee kommt, fasst eine Urgewalt nach der sonst so regelwilligen Stadt. Je länger der Sturm dauert, desto unkontrollierbarer werden die Autofahrer. Straßenbahnen entgleisen und stürzen, da, wo sich die Erde auftut, in eisige Katarakte; um den Dom streichen Bären und Polarfüchse. In der Sicherheit der Wohnungen verbrennen die Menschen alte Zeitungen und hauchen Eisblumen an die Fensterscheiben.

To my dear english readers: why of course, winter is coming.

 

Beredte Feinmechaniker

Maria Antoinette von Marie L. E. Vigée-Lebrun 1778

Maria Antoinette von Marie L. E. Vigée-Lebrun 1778

Einem anderen Menschen gegenüber zu stehen; der eigene Blick gleitet ab und tastet, offen oder im Geheimen, von niedergeschlagenen Liedern verdeckt, und was er einfängt, sind die Gesichtszüge des anderen, die Stirn, Augenpartie, die Nase hinunter und ein Wischen über den Mund, dann der Gesamteindruck und zur gleichen Zeit wächst in uns der Wald der Einschätzungen und Vorurteile. Wo er sich noch hinverirrt, der Blick, sind die Hände des anderen, die Finger, die unter den Ärmeln herausschauen, die vielleicht gerade beschäftigt sind, still halten sie selten.

Martha tadelt Maria Magdalena von Simon Vouet/1621

Martha tadelt Maria Magdalena von Simon Vouet/1621

Feinmechaniker sind es, und redefreudig sind sie auch. Die Nagelbetten erzählen uns schnaufend vom täglichen Leben, sind sie glatt gefeilt oder spröde und vertikal eingerissen, unregelmäßig lag oder poliert und lackiert, sind sie abgebissen bis ins Fleisch oder überstehend und hinderlich.

Jane Seymour von Hans Hohlbein d. Jüngere

Jane Seymour von Hans Hohlbein d. Jüngere 1536/37.

Der Blick huscht weiter, über die Glieder und Gelenke der Finger und bleibt an Schwielen, schwarzen, fein schattierten Haaren, an Ringen und Tätowierungen hängen, an Hühneraugen und an kleinen Wunden und Narben an den Knöcheln, an aufgesprungener Daumenhaut, an Adern, die wie Wühlmausgänge unter lascher Haut liegen und bläulich nach oben drängen, an der Grenze zwischen Braun und Rosa, der reizenden Schnittstelle von Handfläche und Handrücken, an fehlenden Fingergliedern und den komisch gewölbten, nagellosen Kuppen.

Bildnis eines Mannes mit Barett Brescianisch (?) 1538

Bildnis eines Mannes mit Barett Brescianisch (?) 1538

Mit ihrer Gestik erzählen Hände in einer Tour, fordern auf, senken ab, setzen Punkte und beenden Diskussionen, demonstrieren Zugehörigkeit, trösten, beleidigen oder berühren, nur im Schlaf schweigen auch sie, wenn sie anästhesiert neben dem restlichen, erschlafften Körper liegen und nur hin und wieder im Traum zucken oder über die Bettdecke kratzen.

Allegorie von Paris Bordone um 1560

Allegorie von Paris Bordone um 1560

Und wie die Füße von Balletttänzerinnen ihre Ästhetik ausdrücken, können das die Hände auch. Ein eigener Bewegungscode und Gestenalmanach lässt uns als schön empfinden, was uns die Hände vortanzen.

P1210114

Dass MalerInnen der letzten Jahrhunderte eine Faszination für Hände aufbrachten, scheint nur allzu verständlich, sind diese doch die ihrigen Werkzeuge, kompliziert gebaute Präzisionsgeräte, die nicht einfach auf die Leinwand zu bringen sind und somit das Feuer des Eifers umso schneller entfachen.

Infantin Maria Ludovika von Anton Raphael Mengs 1764/65

Infantin Maria Ludovika von Anton Raphael Mengs 1764/65

Die Hände der alten Bilder sind so beredt wie die Gesichter und Kleider der Abgebildeten, sind juwelengeschmückt oder mit nur einem Ringlein überziert, sind Kräftig in den Gürtel gesteckt, berühren einander in bedeutender Gestik, streichen aufreizend über die eigene Brust oder durch das Haar, halten allerlei Gegenstände, die angefüllt sind von Allegorie und führen den Blick der Betrachter. Es sind weiche Hände, die Hände der Schönen, rund, blass und glatt, arbeitslos Hände, die sanft berührt und geküsst werden müssen und sie erzählen von Reichtum und Langeweile und von einer schon damals idealisierten Zeit.

Bildnis einer jungen Frau von Paris Bordone um 1550

Bildnis einer jungen Frau von Paris Bordone um 1550