Alte Gesichter mit tiefen Rillen

Häuserzeile in Bukarest

Indien, hier riecht es, wie in Indien hat damals jemand gesagt, als wir zum ersten Mal aus der Metrostation gehoben wurden und an die Oberfläche stießen. Jetzt empfängt noch immer der Geruch, dieser schwere, an allem haftende Duft von etwas Unverfälschten, ein Teil Abgase, ein Teil Magnolienblüten, ein Teil Straßenstaub. Aus den tief liegenden Fenstern atmet der Keller Feuchtigkeit, gleich in der schmalen Passage zwischen den Häusern glänzt es noch von Urin, wenn die Glastüren zu den Bäckereien aufgehen, kommt eine warme Süße herausgebrochen und schmeichelt. Und weiter: Das ungewohnte Bleiwasser bleibt nach dem Duschen in der obersten Hautschicht und den Haaren, wo es als Tarnung dient und die Hunde vor dem Haus erkennen einen als ansässig, zumindest gehört man nun dem Geruch nach hier her.

rumänische Straßenhunde

Sie sind die wahren Herren, die Hunde, wenn sie am Abend zwischen den Autos, mit selbstbewussten Ruten, ihr Revier markieren und einen Blick aus halb geschlossenen Augen zulassen, der sagt, dass man akzeptiert ist. Am Morgen liegen sie in dem Laubhaufen vor dem Fenster, der für sie dort errichtet wurde, und zucken mit den Ohren, wenn man vorbei geht, sonst interessiert es sie kaum, was passiert. Die Jüngeren unter ihnen warten mit den Menschen an der Ampel und stupsen sie mit den Schnauzen an, wenn ihnen danach ist, dann laufen sie los und verschwinden durch eine Lücke, einen Spalt, einen Durchgang, oder lassen sich irgendwo nieder, um in die Sonne zu blinzeln. Und die Menschen ignorieren die Hunde ihrerseits, stellen ihnen hin und wieder Plastikgeschirr mit Wasser oder Essenresten vor die Tür oder legen eine Matte unter den Stiegenaufgang. Sieht man Hunde, die an der Leine gehen, sind es welche mit Stammbaum, Rassehunde, die nach ihren freien Kollegen schielen und nicht wissen, ob sie sie beneiden oder belächeln sollen.

Der Tag beginnt früh und die U-Bahnschlauche sind schon bald gefüllt, wofür sie konzipiert wurden. Drei Wächter lehnen an strategischen Punkten in der Bahn, einen schweren Stiefel über den Knöchel gestellt und die rechte Hand locker in der Hüfte oder am Schlagstock. Will man photographieren schnalzen sie mit der Zunge und machen ein, zwei bedrohliche Schritte auf einen zu, bevor sie sich auf ihren Platz zurückziehen und den Blick wieder über die Fahrgäste schweifen lassen. Ihre Brüder und Schwestern sind über die Stadt verteilt in immer anders gestalteten Uniformen, stehen vor Banken, hinter Museumseingängen, patrouillieren den Bulevardul Unirii hinunter, am Rücken die Hände verschränkt und harmlos, wäre da nicht der Stock, eine leise Drohung. Und am Flughafen haben sie den Stock eingetauscht gegen Maschinengewehre und die Einheitstracht mit dem Grün des Bundesheeres. Im Paar schleichen die Männer durch die Menschengrüppchen mit Koffern und Flugticktes und ihre Anwesenheit in der sauberen, klimatisierten Halle wirkt seltsam deplaziert.

Die Gesichter der Stadt sind vielfältig und authentisch, abweisend und hinter manchen Ecken erschreckend, dann wieder erzählen sie schwerfällig von einer Vergangenheit, die schon lang kein Teil mehr von ihnen ist. Die alten unter ihnen erinnern an ein Wien des Historismus mit dem Stuck ihrer Fassaden, nur dass sie zum Großteil seit Jahren verlassen stehen und langsam zerbröckeln. Es beginnt oben an ihren Stirnen, wenn die Dachrinnen lecken und das Regenwasser den Putz mit sich nimmt, dann kommen früher oder später die Steine durch die Fenster, von außen nach innen oder umgekehrt und öffnen den Vögeln den Eingang. Drinnen sind sie schon lange leer von menschlichen Bewohnern.

Hotel in Bukarest

Manchen hat die Zeit noch schlimmer zugesetzt, es stehen nur noch Fassaden, von Balken gestützt, wie die Kulissen zu amerikanischen Westernfilmen der Sechziger, vorne die Erklärung: eine viereckige, offizielle Plakette, historisches Gebäude. Einfach wegreißen kann man so etwas nicht. Das hat was von Sophiensälen, nur dass es viele, viele Häuser betrifft. Und andere, die nicht unter den staatlichen Schutz fallen, werden aus ganz anderen Gründen dem Verfall überlassen. Der Aufwand, sie zu renovieren oder gar weg zu reißen, und etwas Neues zu errichten, übersteigt das Potential der Zuständigen. Und gerade diese alten Bruchstücke ziehen einen gerade zu an, wenn sie zwischen zwei Bauten aus der dunklen Zeit des Ceaușescuregimes lehnen, diesen großen Verwandten im Zuckerbäckerstil mit ihren hochmütigen Ansichten. Sie sind bewohnt, davon zeugen die Sattelitenschüsseln und Lüftungsanlagen vor den Fenstern, die individuell angebracht sind, einmal links, einmal rechts von Fenstern und Balkonen aus der Fassade brechen. Die Alten dazwischen gehen in die Knie vor der Größe der Neuen. Was waren sie einmal – Hotels, Palais, Wohnhäuser für ein gehobenes Bürgertum, jetzt erinnert nicht mehr viel an das Früher, mit viel Glück ist noch die ehemalige Beschriftung geblieben und jetzt fehlen die Buchstaben heraus. So mutig, die alten Häuser zu kaufen und wieder herzurichten, zeigen sich auch Investoren aus dem Ausland nicht, ein trauriger Zustand, so lange von der Stadt selbst aus nichts passiert.

Palatul Popoluruil

Und dann das Paradox, erhaben über all den Verfall und die Kleinlichkeit der Nachbarn, erhaben über ein Volk, das schon zu lange unter seiner Zeit leidet, der Palatul Poporului, ein Machwerk, ein gemachtes Wunderding von Ausmaßen, an die das Auge nicht gewöhnt ist. Der Palast wuchs nach oben und nach unten, unterirdisch grub er sich sogar noch tiefer und da thront er auf den Scherben der eigens abgerissenen Wohnhäuser, Synagogen und Kirchen, eine halbe Stadt ist ihm gewichen. Die Zahlen, die in Verbindung mit dem Palast des Volkes einhergehen kommen ebenso erschlagen, zwanzigtausend Arbeiter, die fünf Jahre lang Tag und Nacht an der Errichtung arbeiteten, Baukosten, die jetzt nicht mehr nachzuvollziehen sind. Und heute ist der König tot, schon lange, erschossen mitsamt der Königin und das Parlament im Besitz der unendlichen Räumlichkeiten. Die Fahnen, die vor der Frontansicht angebracht wurden, sieht man nur, wenn sie kurz vom Wind bewegt aufflackern, sonst werden sie von dem Grau und Weiß der Mauern verschluckt.

Gemeindebau Berenci

Wieder anders im Süden der Stadt, Arbeiterblöcke in hellblau, türkis, mint, mit schmalen Balkonen oder völlig glatten Fassaden, aufgeblähte Bäuche die genügend Menschen fassen, dass draußen noch Platz bleibt für kleine Gärtchen, eingezäunt, in denen Hunde schlafen oder Plastikflaschen über Pflanzensetzlinge gestülpt wurden. Die Parkflächen sind locker gefüllt, anders, als drinnen im Zentrum, wo auch die Gehsteige beparkt werden, weil sonst der Platz fehlt. Im Süden beginnt der Tag noch früher und trifft man am Morgen jemanden in den verwinkelten Straßen, kommt der Zwang auf, grüßen zu müssen, flüchtiger Augenkontakt und Gemurmel. Kurz fühlt man sich, als würde man dazu gehören.

Anders im Park, wo Männer oder Frauengruppen in den grün und schwarz lackierten Parkbänken sitzen, die Beine überschlagen, das Gewicht auf einen Ellenbogen gestützt, damit die andere Hand verhalten gestikulieren kann. Die wirklichen Themen werden hier entfaltet, die Politik, die Schwiegersöhne und geht man an ihnen vorbei, bleiben gedankenverlorene Blicke an einem hängen, die reichen, als ortsfremd erkannt zu werden, obwohl Fotoapparat und Stadtplan in der Tasche geblieben sind.