Tag 14 Delhi//Elfenbeinturm

P1230739

Das Frühstück am Dach wird besonders genossen, denn es ist das letzte Mal, dass ich in der feuchten Morgenluft hier oben sitze und die Liebeslieder aus dem alten Radioapparat höre, den sie mit Seidenblumen in die Blechbalken gebunden haben. Ich lasse mir die Cornflakes in ihrer Plastikschüssel und den viel zu süßen Kaffee im Pappbecherchen schmecken und plane meinen letzten Tag. Aus dem Gestrigen haben ich zweierlei aufgefrischt: 1.) Sei nicht während der Mittagszeit draußen, das hält der österreichisch geeichte Kreislauf nicht aus und 2.) sei nicht überfreundlich, wenn dich diverse Kerle anplaudern, weil sie dich wahrscheinlich als westliche Kuh mit goldenen Hörnern sehen.

P1230704

Mit diesen Gedanken mache ich einen Spaziergang im vormittäglichen Paharganj. Die meisten Geschäfte richten gerade ihre Auslagen her, es wird gekehrt und geputzt und der eigene Abfall unter Schachteln geschaufelt und in Abflüsse gestopft. Ich vergesse das selbstverhängte Einkaufsembargo, bilde mir ein, dass sich mein Koffer durch bloße Willenskraft noch ausdehnen würde und kaufe noch zwei herrliche Tunikas inklusive Hosen und Schals um jeweils 150 Rupien.

P1230731

Am frühen Nachmittag fahre ich denn in den weiten Süden, zur Qutb Minar, die Fahrt dauert fast 40 Minuten, aber wie schon erwähnt sind die Ubahnzüge klimatisiert und übersauber, darum ist es eine angenehme Reise. Weil ich bei meinem ersten Aufenthalt vor fast zwei Wochen schon einmal bei der Qutb Minar war (nur dass das Gelände damals schon geschlossen hatte, hier noch einmal ein herzliches Dankeschön an den motivierten Rikschafahrer, der mich damals hingebracht und sofort freimütig angeboten hat, mich wieder zur U-Bahn zu chauffieren), habe ich mir den Weg gemerkt und gehe ihn heute zu Fuß.

P1230759 copy

Dabei ist Zufußgehen hier in Delhi eine eher unangenehme Geschichte. In Kathmandu war es in Ordnung, am Straßenrand über die buckeligen und ziegelsteinigen Gehsteige zu stolpern, aber hier sind die Trottoirs oft kniehoch und meistens seitlich von Natur eingewuchert. Ich finde trotz der widrigen Umstände (und später soll es noch ungemütlicher werden) zu dem Komplex, zahle die obligatorischen 250 Rupien Eintritt und verbringe dann gute zwei Stunden damit, durch die Steinruinen zu spazieren und mir alles genau anzusehen.

P1230722

Der Wachturm ist beeindruckend, 74 Meter hoch und ewige achthundert Jahre alt. Man fragt sich, wie um Himmelswillen damals so ein Kunstwerk geschaffen werden konnte. Die Form des Turmes ist dank seiner abwechselnden Fassade äußerst lebendig, die Koraninschriften und der Stuck machen ihn einzigartig schön. Ich setze mich auf eine der alten Mauern und beobachte die anderen Gäste, fast ausschließlich indische Gesichter, die ihren Spaß daran haben, in den Ruinen herumzuklettern und die beste Position für Erinnerungsfotos zu finden. Wohin ich mich auch verdrücke, aus den Augenwinkeln merke ich schon, wie sich eine Gruppe an jungen Kerlen anschleicht, herumdruckst, bis sich der Mutigste vortraut und mich um ein Foto bittet. Einer, den ich frage, wieso er denn ein Foto haben will, kramt nach Worten: You look so…so und ich helfe nach: not indian? Ich bin mir nicht sicher, ob es das war, was er sagen wollte, aber er lächelt mit gesenkten Augen und setzt sich vorsichtig für ein Foto neben mich.

P1230735

Der Ort ist wirklich zauberhaft und als ich ihn verlasse und mich am Weg zum Garden of five Senses mache, ist der Straßenlärm besonders unerträglich. Die Bürgerteige sind hier mehrere Meter breit und brechen manchmal direkt in den Waldbereich daneben auf. Das sind die Gebiete der Straßenleute, die hier ihre Baracken aufgeschlagen haben, ihre Zeltplanen und Wasserkanister, ihre Ziegen, Hunde und Hühner. Gleich hinter den Lagern häuft sich der Müll, der Geruch ist entsprechend. Ich drücke mich an einer dieser Siedlungen vorbei und werde von drei Mädchen aufgehalten, die vorher wollen, dass ich ein Foto von ihnen mache und nachher dafür Baksheesh verlangen, das ich vorsichtig aus dem Geldbeutel zupfe. Die Mädchen theatern mir das Geld aus der Hand und sind nicht der Meinung, dass ich sie für ihre Modeldienste genügend entlohnt hätte, ich schaue, dass ich weiterkomme und ignoriere die Hunde, die mir schlechtgelaunt und streitsüchtig folgen. Irgendwann verschwindet das Trottoir plötzlich in einer überwucherten Waldweg und ich bücke mich unter einem ebenso streitsüchtigen Busch durch, der mit seinen Dornenfingern in mein Haar greift und mich nicht so einfach loslässt. Ich reiße mich los und meine Lust, den Garten der fünf Sinne zu suchen, ist ebenfalls in dem gemeinen Gestrüpp hängen geblieben, vor allem, da die nächste U-Bahnstation endlich auftaucht und der Weg zum Garten verstaubt, eng und gerümpelig aussieht. Ich verschwinde lieber in den klimatisierten Untergrund und kaufe mir am Weg ins Hostel eine Trostpapaya, die mich ein bisschen aufmuntert.

P1230764

Am frühen Abend traue ich mich mit erstarkter Abenteuerlust nach draußen (habe die Papaya vernichtet, geduscht, in dem Harry Potter gelesen, den jemand in der Hotelbibliothek zurückgelassen hat, ein Keks gegessen und mein Gesicht in das träge Flapflapflap vom Deckenventilator gehalten). Am Markt kaufe die letzten Souvenirs und erinnere mich an das herrliche Lassi, deshalb wandere ich zum Bahnhof hinauf. Dort spüre ich die ersten Tropfen und begehe den Fehler, nicht darauf zu achten, was die anderen tun. Die verschwinden nämlich als wären sie aus Zucker in diversen überdachten Nischen, während ich locker mit dem Fotoapparat in der Hand zu einem illustren Grüppchen schlendere, das sich unter einen Baum drückt und dreinsieht, als stünde die Rache Vishnus bevor.

P1230773

Und dann kommt der Monsun. Es ist das erste Mal in diesen zwei Wochen (obwohl es Monsunzeit ist!), dass er richtig über mich kommt, nicht der zarte Nieselregen aus Kathmandu, es ist der zerstörerische, wilde Monsun, der Brücken weggeschwemmt und Mensch und Vieh ertränkt hat. Unter dem Baum wird es leer bis auf mich, denn ich bleibe fasziniert von den Wassermassen neben einem Handkarren mit Mangos stehen. Der Regen ist warm und weich, er durchbricht die aufgeheizte Luft wie Freudentränen und ich lasse mich von ihm einhüllen. Es dauert eine gute Viertelstunde in der der Monsun ungezügelt und leidenschaftlich herabschwallt, und ich bin nass, nass, nass. In einer kurzen Atempause marschiere ich mit großen Schritten durch die Lacken heim, an der Tür sitzen die Spanierinnen und unterhalten sich aufgeregt und der Hostelboy meint auf meine Schilderung der Ereignisse hin bedauernd: No good idea to hide under tree. Aber es macht nichts, es war ein Abschiedskuss des indischen Himmels, der mich als Ganzes umfasst hat. Ich winde meine Kleidung aus, ziehe mir etwas Trockenes an, nehme mir den Schirm und wage mich wieder nach draußen, weil ich Hunger habe. Der Regen ist zurück, so herrisch wie zuvor und die Straßen werden zu einem absurden Rennplatz von lackenspringenden Fußgängern, Motorrädern und Tuktuks, die zwar hupen, aber nicht direkt langsamer werden, auch wenn sie nicht sehen können, wohin sie fahren.

Ich erklimme die Stiegen zum Mount Everest Restaurant wo gerade noch ein Platz frei ist, dann schaue ich mit den anderen ängstlichen Wildromantikern hinaus in den Regen.P1230777

Mit einem Mal ist der Strom weg und die Dunkelheit wird johlend begrüßt. Der Restaurantbesitzer entschuldigt sich bei allen, dass der Generator nicht funktioniere und stellt Kerzen auf die Tische, derweil leuchtet der Himmel. Es sind nicht einzelne Blitze, die herunterkommen, viel mehr sieht es aus, als wäre das gesamte Himmelsdach aus Lichtentladungen gemacht, die in unterschiedlicher Frequenz aufzucken. Im Kerzenschein kommt mein Essen, es ist so finster, dass ich es nicht sehen kann, nur der Dampf vom Schwarztee kringelt sich im Gegenlicht. Umso köstlicher ist, was ich bestellt habe, ein Pilzchilli mit Reis und Roti, scharf und heiß und wunderbar. Was das Durcheinander der Straße noch unheimlicher macht sind die Scheinwerfer, die durch den Regen pflügen, das Geschrei von denen, die unterwegs sind und der Lärm der Wassermassen.                                                                          Es ist ein seltsamer Moment und er vereint so vieles der letzten zwei Wochen, das Unerwartete, das Improvisierte und das Wunderbare.

Am Weg zurück stehen die Straßen unter Wasser, aber der Monsun ist verklungen, er hat sich von mir verabschiedet. Morgen Früh geht es auf nach Hause.P1230782

Tag 13 Delhi//Begrabt mich hier

P1230657

Die Nacht ist heiß und laut. Draußen vor dem Fenster läuft ein Radio, Gebläse klackern. Mit einem Schlag ist der Strom weg und eine plötzliche Ruhe legt sich über das Viertel. Der Deckenventilator fällt weg und ich spüre die Feuchtigkeit der Luft am ganzen Körper, es ist, als würde mir jemand ins Gesicht atmen.

P1230675

Mein erstes Ziel an diesem drückenden Tag ist Humayun’s Tomb, einem Prachtbau aus dem 16. Jahrhundert, der seit 20 Jahren renoviert wird. Ein persischer Architekt, Mirak Mirza entwarf den streng symmetrischen Bau, Humayuns erste Frau Bega Begum überwachte die Ausführung. Ich betrete das UNESCO Welterbe durch den gerade verlaufenden Gang, er führt durch die persische Gartenanlage mit ihren geregelten Wasserläufen, der damals einmalig war für Indien. Das Spiel zwischen rotem Sandstein und weißem Marmor lässt Erinnerungen an die Geschichten von 1001 Nacht aufkommen, rings um breiten sich die Gartenanlagen mit ihren ausladenden Bäumen und duftenden Sträuchern aus. Die Grabkammer ist hell und hochgewölbt, die verästelten Fenstergitter lassen gefiltertes Licht in den Komplex.

P1230665

Ich finde eine Ecke im Raum der Frauengräber und setze mich auf den Steinboden. Die Hitze ist unnachgiebig, auch in den hohen Räumen durch die der Wind zieht und ich frage mich, wie es die anderen schaffen, sich durch die Schönheit der Umgebung zu quälen. Im Garten will ich mich unter einen der Bäume setzen und den Schatten nutzen, werde aber von einer Gruppe Jugendlicher verscheucht, die ihren Spaß daran haben, einzeln anzutraben und mich um ein Foto zu bitten. Ich wiederrum verstehe sie absichtlich falsch und mache Foto von ihnen (was sie nicht davon abhält, motiviert zu posieren.)

P1230671

Sonst sind fast keine Besucher unterwegs, es ist Mittag und zu heiß, um irgendetwas anderes zu tun, als zu schlafen, zumindest sind die meisten Rikshafahrer dieser Meinung.

P1230678

Ich mache mich weiter auf in den Süden zum Lotustempel. Von der Ubahn aus steht er im diesigen Gegenlicht, wie eine überdimensionale Lotusblüte. Ich steige aus und folge mit der Vertrauensseligkeit eines europäischen Kalbes einem Schild mit großem roten Pfeil und Sanskritschrift, gelange in einen komplett falschen, etwas gruseligen Tempel mit angeschlossenem Barackenghetto und verabschiede mich schnell wieder von dort, um einen halben Kilometer zum Eingang des Lotustempels zu pilgern.

P1230690

Das Gebäude ist 1989 eröffnet worden und steht allen Religionen offen, ein Gebetshaus der besonderen Art, das jährlich angeblich beinahe so viele Besucher wie der Eiffelturm hat. Vor dem Eingang treffe ich dann auch einen der wenigen wachen Rikshafahrer, der mir erklärt: Monday closed. Look the sign! Bring you back to metro Madam, only 50 rupies. Ein leichter Grant überkommt mich an diesem so freundlichen, aber immerhin geschlossenen Ort (der Eiffelturm hat immer offfen, oder?) Und weil ich ohnehin nass bin, als wäre ich in den Monsun gekommen, gehe ich den aufgeheizten Weg zurück zur Ubahn und finde unterwegs einen Supermarkt, eine echte Rarität hier. Vor dem Hineingehen muss ich meine Tasche zeigen und drinnen empfängt mich der Segen einer Klimaanlage und der Versuch eines Interspars. Verkauft wird direkt aus den Kartons und für jeden Gang ist scheinbar eine Verkaufsperson zuständig, die, sobald man etwas herausgenommen hat, sofort das nächste Produkt nachrückt. Fotos durfte ich keine machen, aber die Vorstellung gelingt wohl auch so: Ein etwas zu groß geratener ADEG in den Untiefen eines Bundeslandes, samstags, kurz vorm Zusperren. Mit mehr Personal. Ich kaufe gewürzte Buttermilch (nicht mein Geschmack) und eineinhalb Liter Wasser (das Wasser rinnt direkt aus den Poren am Hals und am Rücken, sobald man einen Schluck gemacht hat) und muss nachdem ich gezahlt habe beim Ausgang meine Rechnung und alles Gekaufte noch einmal herzeigen. Amokvermutung, würde man dies beim Hofer einführen. Ich  fahre zum Rajiv Chowk, wo es eine Post gibt.

P1230694

Die Ubahnfahrt ist eine Genugtuung, ich reise im Women Only Sector, den es in jedem Zug gibt, lausche andächtig der britischen Stimme, die daran erinnert, dass man unbewachte Gegenstände nicht angreifen soll (es könnte eine Bombe sein), dass Sitze, die für Ladies reserviert sind, nicht von Kerlen besetzt werden sollen, dass im Zug Ladestationen für Laptops und Handys zur Verfügung stehen, dass man mit den Türen nicht gewaltsam werden soll und please mind the gap. Wer an den Türen hantiert hat mit einer Strafe von 5000 Rupien oder vier Jahren Gefängnis zu rechnen (oder beidem, wird gedroht), wer am Dach des Zuges mitfährt kommt mit 50 Rupien davon, da fehlt doch das Verhältnis. Das Aussteigen und Einsteigen ist jedes Mal ein kleiner Wettkampf, den Reisenden schießt das Adrenalin ein und die von drinnen drängen nach draußen, während die von draußen nach drinnen schieben, als hinge ihr Leben davon ab. Ich stehe meistens brav in der Mitte und sehe zu, dass ich mitflutsche.

P1230698

Am frühen Abend, zwei Stunden bevor es dunkel wird, möchte ich noch den Laxmi Narayan Birla Mandir Tempel sehen, der nicht allzu weit von dem Hostel entfernt ist. Am halben Weg passt mich ein Mann ab, der schnell redet und mir eine neue Karte aufschwatzen will und mich schließlich zum Tempel begleitet, obwohl ich ihm mehrmals versichere, dass ich alleine hinfinde. Dann bin ich aber froh, ihn dabei zu haben, alleine hätte ich mich nicht hineingetraut. Ich muss die Tasche mit dem Fotoapparat draußen lassen, was schade ist, aber die Heiligkeit des Ortes soll nicht gestört werden. Tatsächlich ist der Tempel wunderschön, weißer Marmor am kühlen Boden (man geht barfuß) und drinnen die Götter in Form bunter Figuren in glitzernden Stoffen, mit Blumenketten geschmückt. Priester sitzen bei den einzelnen Figuren und geben ihren Segen, rezitieren oder meditieren. Die Statuen sind menschengroß und unglaublich realistisch, eine schöner als die andere. Draußen bekomme ich am Schrein von Ganesha einen weiteren Segen auf die Stirne gemalt und ein Minzbonbon des Priesters.

Der Lohn für diesen wunderbaren Tempelbesuch gestaltet sich darin, dass mich mein lästiger Anhang in mehrere Geschäfte schleppt, wo ich etwas kaufen kann, wenn ich will (only looking, you happy, I am happy, I am a good man)  Meine Laune trübt sich ein, als er mich zum Gole Market schleift und ich die Orientierung verliere. Es wird mir bewusst, dass gute Erziehung und Nächstenliebe fein und schön sind, irgendwann aber der Punkt des gehorsamen Mitdackelns überwunden ist, vor allem, da ich nicht vorhabe, in irgendeinem der sehr teuren Geschäfte auch nur eine Rupie liegen zu lassen. Als ich mir einen Fluchtplan zurechtlege und in das vierte Geschäft bugsiert werde, treffe ich dort zwei offensichtlich ebenfalls angepisste junge Frauen. Ich spreche sie an, ob sie auch hereinzogen worden wären und sie antworten augenrollend, dass sie ihr Fahrer auch hierher gebracht hätte. Wir beschließen kurzerhand draußen in das Tuktuk zu steigen und uns zurück nach Paherganj bringen zu lassen. Mein Führer redet zwar aufgebracht mit dem Tuktukfahrer, als ich mich zu den Londoner Mädels quetsche, winkt mir dann aber freundlich nach und wir sind dahin.

Die Dämmerung ist hereingebrochen und der Markt wieder voller und belebter als tagsüber. Ich beschließe, mir noch eine süßreife Mango zu gönnen und bin froh, wieder nach Hause zu kommen.

P1230643

Tag 3 Delhi/ In Ruinen sitzen und mit den Beinen schlenkern.

Fahrrad Indien Delhi

Ein vergangener Tag, sprichwörtlich. Wieder einmal unterschätze ich die Distanzen in dieser Stadt. Schon beim Heraustreten aus dem Hostel spricht mich der erste Händler an. Er denkt, ich wäre Französin und schwört dann darauf, dass Vienna eine beautiful city ist. Er hat eine Wunde am Arm und als ich ihn frage woher, meint er driving accident. Wen wundert es? eher wundert es, dass es überhaupt so viele Inder gibt, bei diesem Fahrstil. Kaum verabschiede ich mich von ihm, habe ich den nächsten Mann an meiner Seite, er ist zierlich und kleiner als ich und spricht gutes Englisch. Er folgt mir den Weg zur Train Station hinunter, den ich eigentlich als kleinen Spaziergang anlegen wollte, um die Ware anzuschauen, aber keine Chance bei dem gesprächigen Herren. Ich erfahre, dass er aus Nepal ist und dass er Jack Sparrow heißt. Captain. Und das, nachdem ich ihn brav mit Namen, Country und so weiter gefüttert habe. Bis zur Ubahnstation ist es weit diesesmal, weil zu wenig andere Touristen unterwegs sind und ich um so aufdringlicher umworben werde – ignoriert werde ich aber von den Buben, die nur Augen für die Süßigkeiten eines Händlers haben und mit einem Fetzenball zu kicken beginnen, nachdem sie sich mit ihrer Zuckerration versorgt haben.

P1220660

Ich fahre eine Station zum Patel Chowk, dem Knotenpunkt, weil dort ein Park ist, aber kaum heraußen aus dem überfüllten Untergrund stehen die nächsten Kerle neben mir und sind erpicht darauf, mir Delhi erklären. Es nagt ein wenig die Ungeduld, weil es nicht möglich ist, einfach seiner Wege zu gehen. Bewege ich mich, heißt es: Where do you want to go? Bleibe ich stehen, um etwas anzuschauen heißt es: Come in! Please, look, very cheap and good quality, rühre ich mich nicht, weil ich in meiner Tasche nach dem Wasser suche, wird sich jemand an meine Seite gesellen, der mich irgendwo hinzuführen will, wo er oder sein Freund ein Geschäft hat. Von der Station aus werde ich von jemandem abgeholt, der mich in die Richtung des Tourist Centers bringt (wo ich nicht hinwill), am Weg dorthin einem jungen Mann übergeben, der am Weg in die Moschee ist, es ist Freitag. Er liefert mich vor dem Eingang ab und wartet auf mich, als ich wieder herauskomme, um mich zur Straßenecke zu geleiten. Dazwischen immer der gleiche Fragebogen, in einer Reihenfolge abgespult, die scheinbar zuvor unter allen Partizipierenden abgesprochen wurde. Er winkt mir, als er in den Eingang der Moschee schlüpft, nicht ohne vorher noch aufgezählt zu haben, wo ich einkaufen gehen könne. Übergangslos laufe ich in die Arme eines Postkartenverkäufers, der mich zur Post bringt, wo ich Marken für seine Karten kaufen kann und ich nehme ihm einen Bogen Ansichtskarten ab, die zwar nicht besonders schön sind, aber immerhin war er so freundlich mir die Post zu zeigen (dieser kleine, spekulative Teufel).

Ich verstecke mich in der Ventilatorenhalle, kaufe Briefmarken, auf denen Pinguine und Eisbären abgebildet sich und setze mich an den einzigen Tisch. Die Post, im Kolonialstil der Briten, sieht aus, als hätte sich in den letzten sechzig Jahren nicht viel verändert, alles ist charmant, abgenutzt und fleckig, auch die Leute hinter den Schaltern sind alt, mit dünnen Fingern, die Briefmarken aus dem Bogen lösen und Stempel umklammern. Ich bleibe gerne dort und schreibe meine Karten, dann, am Weg zur Ubahn: ein alter Mann mit typischen Bart. Er entschuldigt sich dafür, mich anzusprechen, aber er will wissen, woher ich bin und als ich ihm die selbe Geschichte wieder erzähle, sagt er, er sei in Wien gewesen und in Ungarn. Immer wieder erstaunen mich die Geographiekenntnisse der Leute hier. Jedem, dem ich Austria verrate, fallt auf Anhieb Wien ein und Ungarn und die Tschechische Republik.

P1220686

Ich fahre hinunter in den Süden in den Hauz Khas Complex wo ich mich mit einer Bekanntschaft vom vorigen Tag treffe. Es war der erste Fehler, diese Station gewählt zu haben und der zweite, zu Fuß den Eingang zu suchen. Es dauert über eine Stunde, bis wir endlich vor dem Deer Park stehen, und wir sind am Weg dorthin über knöchelbrecherische Gehsteige gestolpert, durch Randmüll gestiegen, haben in die Straße ragende Gummibaumäste zur Seite geschoben und sind von jedem zweiten vorbeifahrenden Auto angehupt worden. Zumindest hat uns niemand den Ellenbogen oder die Ferse abgefahren. Der Deerpark ist staubig und ein wenig trostlos nach der gestrigen Pracht des Roten Forts, wir gehen ein gutes Stück, dann suchen wir eine Bank im Schatten, auf der niemand schläft. Man gewöhnt sich daran, zu schwitzen, aber man gewöhnt sich nicht daran, dass das Schwitzen erst wieder gegen sechs oder sieben besser wird, wenn die Dämmerung kommt. Mein Gewand klebt mir am Körper und das, obwohl die Sonne den ganzen Tag – und leider wie alle Tage – nur eine diffuse Scheibe hinter einer Smog- und Wolkenwand ist. Meine Bekanntschaft hat zum Glück GPS am Handy, wir suchen einen Weg zurück zum Khas, das so schön und modern sein soll und finden uns in einer engen Straße wieder, die nach Touristenfalle riecht und an Westernfilmsets der Siebzigerjahre erinnert. Außen geputzte Glasscheiben, dahinter schnell das übliche Durcheinander an Stiegenauf- und Abgängen, geheimen Müllstätten und offenen Latrinen.

P1220700

Der Hauz, der See in der Mitte trägt grünes Wasser, dahinter das Islamische Seminar, die Moschee und das Grabmahl aus dem zwölften Jahrhundert. Junge Leute sitzen wie Krähen zwischen den Säulen und an den offenen Balkonen, wo sie die Beine baumeln lassen. Es ist ruhig dort. Unten hocken junge Burschen im Gras, die spüren, dass sie nur jeweils einer aus sechzehn Millionen sind und die sich trotzdem Mühe geben, etwas Besonderes darzustellen.

P1220715

Wir verlassen den Hauz Khas zu Fuß und fahren mit der U-Bahn weiter nach Süden, um die Qutub Minar zu sehen (Fehler Nr° 3!). Vor der Station empfängt uns ein motivierter Fahrer in Rennstellung, der uns durch die Straßen navigiert, als gebe es kein Morgen. Er macht sich aus dem Staub, sobald wir draußen sind und recht hat er, hat der Qutub Minar Komplex doch schon die Pforten geschlossen. Meine Bekanntschaft meint, dass sie uns wohl noch den Audio-Guide verkauft hätten, wenn wir uns am Eingang angestellt hätten. Wir setzen uns müde auf die Steinmauer und nehmen den Misserfolg in Kauf.

P1220729

Es dämmert und eigentlich will ich schon zu Hause sein. Das Tuk Tuk, das uns zurück bringt, verlang weniger und fährt gesitteter, ich muss nicht wieder um mein Leben oder zumindest einige Gliedmaßen fürchten. Der Weg heim ist lang und als ich in den Main Bazaar biege, ist er voller und gestresster als je zuvor. Es wird finster, als ich zu Hause ankomme. Die kalte Dusche ist die Widergutmachung für einen Tag, an dem alles hätte ein bisschen glatter laufen können.

P1220703

Tag 2 Delhi./ „I am telling you the old stories, so you will be more happy…“

P1220538

Meine erste richtige Nacht ist heiß; der Ventilator wühlt in der feuchten Luft, auch dann noch, als ich aufwache. Zum Frühstück hinauf zum Rooftop Restaurant – wie das klingt! nach Aussicht und leichter Orientbrise vom Meer her. Aber Meer gibt es natürlich keines, auch keine Orientbrise, dafür rotbemaltes Bambusrohr, das einen engen Bereich umzäunt, mit Plastiksesseln und Metalltischen. Ein Bub begrüßt mich und hält mir das Klemmbrett hin, wo ich meine Namen und meine Zimmernummer eintragen muss, dann bringt er mir ein abgegriffenes Tablett mit Cornflakes, einer Banane, einem Mangosaft im Kinder-Tetrapack und zwei in Butter getränkte und angeröstete Toastscheiben. Dazu im Pappbecherchen Milch für die Cornflakes. Es riecht nach Morgen in Delhi. Über das Gerumpel der Ventilatoren schmeichelt das Radio mit seinen Liebesliedern I love you chalalala. Ich esse in Ruhe und schau mir an, was ich mir anschauen möchte. Später dann, als es beginnt, so richtig heiß zu werden, breche ich auf.

P1220501

Mein Ziel ist das Rote Fort, ein alter, riesiger Gebäudekomplex im alten Delhi aus der Zeit des Mogulreiches, dafür muss ich vorher aber zur Ubahnstation finden. Dort hat sich an der Verkaufsstelle eine Schlange gebildet, die synchron schwitzt. Im Zug dafür herrscht die gütige Hand der Klimaanlage, die mir ins Genick bläst und zum ersten Mal, seit ich hier bin, fühle ich mich nicht wie der überhitzte Motor einer brustschwachen Maschine. Mit dem Verlassen der U-Bahnstation entsteige ich der gefühlten westlichen Welt mit ihren glänzenden Fliesen und der zweisprachigen Beschilderung. Draußen empfängt mich Delhi schreiend am Chandni Chowk, dem Mondscheinbazaar; es ist enger und lauter als je zuvor. Ein Rikschafahrer warnt mich, too crowded Madam, take Rikscha to Red Ford, only 10 rupies. Ich, tapfer, drücke mich an den Rädern vorbei durch kurzfristige Lücken, gehe drauf los, weil ich schön langsam die Verkehrsgrundlage des don’t wait geschnallt habe, und bin mit dem Kopf ganz da, wo man am Hinweg immer ist: am Speichern der Route. Kein Draufloslaufen, sondern Mitdenken, Memorieren und innerliches GPS aktivieren. Zu meiner Linken eröffnet sich die Sicht auf das Rote Fort, das macht den Weg leichter. Die Hitze drückt. An der Kassa zahle ich den Foreigners Price, 250 Rupien, die Residents zahlen 5, aber das ist doch in Ordnung. Ein dicker Guide im Polohemd kommt auf mich zugestürmt und verspricht mir: I am gonna tell you all the stories so you will be more happy. Ich versichere ihm, dass ich already happy bin und dass ich gerne alleine unterwegs bin. Durch den überdachten Bazaar hinein in die Sicherheit des Forts.

P1220542

Der Lärm wird ausgeblendet, als bliebe er an den roten Steinmauern hängen. Wiesen mit duftenden Bäumen, unter denen liegen Hunde im Schatten und gähnen. Verstreute Gebäude aus den frühen 1640er Jahren, eines schöner als das andere. Das Badehaus des Kaisers, die private Audienzhalle, das Trommelhaus, die Perlmoschee, der Palast der Farben in dem die Frauen lebten, durchbrochen von Grünflächen und roten Wegen. Im Schatten Gruppen von indischen Touristen, ein paar Europäer dazwischen mit roten Köpfen und schweißnassen Haaren.

P1220575

Ich sitze im Schatten und werde komisch beäugt, bei der Wasserstelle, zu der es mich zieht wie die Fliege zum Licht (und in meiner hypnotisierten Verfassung glaube ich dem Schild, das von filtered drinking water prophezeit), fragen mich zwei Frauen, ob sie ein Foto von mir machen dürfen und ich frage mich, warum in aller Welt und fühle mich seltsam berührt, die Kinder kommen auch für das Bild, das eine Mädchen fremdelt ein wenig während seine Schwester stolz den Arm um meine Hüfte legt, kaum verabschiede ich mich von ihnen stehen schon die nächsten Kerle neben mir und wollen ein Foto haben. Jemand erzählt mir später, dass die Männer Fotos von fremden Frauen machen, um dann allen zu erzählen, dass sie mit ihnen geschlafen hätten, aber so viel Pessimismus ist mir unsympathisch. Ich treffe den Fremdenführer von vorher wieder und er lacht, stellt sich mit in das nächste Foto und plaudert dann über seinen Job, bis er zwei Asiaten entdeckt, denen er sich auf die Fersen heftet, um ihnen sein Wissen anzubieten und sie more happy zu machen.

P1220579

Zwischen den Säulen der privaten Audienzhalle liegen possierliche Streifenhörnchen am kühlen Steinboden, dahinter kreisen die Adler in Schwärmen über dem Fluss. Die Gewänder der Frauen erblühen zwischen dem hellen Stein. Als ich das Fort verlasse, bin ich glücklich, da gewesen zu sein.

P1220564

Der nächste Halt sind die Lodhi Gärten im Süden, im neuen Delhi, eine Parkanlage nahe dem Reichenviertel, in dem ein Ferrari aus der Ausfahrt einer modernen Villa rollt, daneben spielen die Jungen Cricket. Eine Frau verlässt eine der Villen, sie ist groß und blond, dazu trägt sie einen grüngoldenen Sari. Sie lächelt mir zu, und ich starre ihr nach, wie einer Erscheinung. In den Gärten ersterben wieder die Straßengeräusche. Die Bäume sind gepflanzt und gehegt, ein artifizieller Dschungel, aus dem Grabhäuser und Moscheen wie Paläste stechen, ewigalt (das Grab des Mohammed Shahs datiert aus 1444).

P1220605

In den Kuppeln der oktagonalen Grabstätten sitzen Vögel und zwischen den Bäumen verstecken sich Pärchen, die sich aneinanderlehnen und gemeinsam Musik von ihren Smartphones hören. Jeder Lokus Amoenus wird in seiner Heiligkeit von den anderen Parkbesuchern geachtet. Die Joggingroute führt neben dem gesteinten Weg entlang und tatsächlich gibt es Frauen und Männer, die hier entlanglaufen, wo ich im Gehen unter der Hitze hechle.

P1220624

Bevor die Finsternis einbricht, verlasse ich die Ruhe der Gärten und fahre nach Hause, wo mich der Bazaar vor der Haustür in seiner Abendstimmung aufs Neue verzaubert. Ich kaufe mir eine Blätterteigtasche an einem der Stände und gedämpfte vegetarische Momos von einem Asiaten. Sie sind scharf, wie alles hier, das nicht extrem süß ist. Auf dem Rund des Marktes, zwischen den Händlern am Boden, sind die Kühe erschienen. Sie tragen Ketten aus Seilen um den Hals und wandern vorsichtig an den Ständen vorbei. Ich bleibe in ihrer Nähe und beobachte sie, bis ich die Momos aufgegessen habe, dann suche ich meinen Weg durch die Gassen nach Hause.

P1220637

Tag 1/ Delhi. Der Geruch von Staub, Mangos und trächtigen Hündinnen

P1220426

Wien und Indien sind weit auseinander, das weiß man, Delhi ist nicht Hartberg und nicht Wörgl und nicht Dresden oder Sizilien, es ist nicht Europa, es ist weit. Und dass es anders ist, weiß man. Dass es nicht ist wie Simmering oder Barcelona oder Bukarest. Dass Delhi groß ist weiß man. Dass es geschätzte 16 Millionen Einwohner hat. Dass das zweimal so viele Einwohner sind wie in ganz Österreich leben. Dass es laut ist, hat man gehört. Dass es geschäftig ist. Dass es dort neben großem Reichtum noch viel größere Armut gibt. Dass Frauen buntes Gewand tragen und Männer mit Rikschas fahren, dass Kühe zwischen den Markständen stehen und dass so viele Menschen in dem Land sind, dass sich der Staat nicht um jeden kümmern kann. Das weiß man, wenn man Reportagen gesehen, oder Berichte gelesen oder von Freunden gehört hat, die dort waren.

P1220356

Sobald man den Flughafen verlässt, bleibt von dem, das man weiß, weil man sich informiert hat, eine zartseitige Erinnerung, die sich in den Hinterkopf drängt und dort sofort von den echtempfundenen Eindrücken zerdrückt wird.

Nach zwölf Stunden Reise sind die Körperfunktionen verdreht. Der Kopf hat vergessen zu schlafen und sendet Aufgeregtheitssignale, die in die Nervenzellen fahren und das Herz anpumpen. Aus dem klimaanlagenerkalteten Flughafen hinaus ist, als betrete man ein Dampfhaus im vollen Gewand. Der Taxifahrer, der mich abholt und ins Hotel fährt bringt mir schnell den ersten Grundsatz der Straße bei: „You don’t wait. Just go.“ Eine Verkehrsphilosophie die Europa höchstens in Rom zur Stoßzeit kennt, uns selbst dann in abgeschwächter Form. „Just go“ könnte transkribiert werden als: hupe und erschaffe eine Lücke, nutze die Lücke und überhole jedes Gefährt, das weniger PS hat oder kleiner ist. Bremse erst im letzten Moment (manche Fahrzeuge warnen davor, Abstand zu ihnen zu halten: Sharp breaks! Keep Distance!“) oder bremse gar nicht, navigiere das Gefährt, als hinge dein Leben davon ab, schneller als das Vehikel neben dir zu sein, ignoriere Ampel größtenteils und hupe noch ein bisschen mehr. Auf der Suche nach Sicherheitsgurten meint der Fahrer: „Safty belt no problem“, was leicht gesagt ist, weil Sicherheitsgurt erst gar nicht vorhanden. Die Straßen vom Flughafen weg sind breit und werden enger, je weiter wir fahren. Wir zwängen uns durch einen Bazar, der bunt und laut ist und an der engsten Stelle bleibt der Fahrer stehen, weil er einparkt. Am Weg zum Hostel nehmen wir zwei Nebengassen, eng genug, dass ich mit eineinhalb Mal Arme-Ausstrecken die Fassaden berühren könnte und trotzdem rumpeln uns Mopeds und Rikschas entgegen. Ich habe das Gefühl, nie wieder heraus zu kommen, geschweige denn, was doch immer die eigentliche Herausforderung ist, wieder zurück zu finden. Aber nach der Zeit, die man sich mit dem Jetlag im Genick nach der Ankunft gönnen muss, um nicht schon nach den ersten zweihundert Bazarmetern zu scheitern, bitte ich den Rezeptionisten zum dritten Mal, wie der Weg zur Ubahn nun wäre. Und dann hinaus.

bazar

Es ist heiß, so unfassbar, dass es einem durch den Scheitel und durch die Brust dringt. Dazu die Feuchtigkeit. Es ist laut, so unfassbar, dass es durch die Schultern und Halswirbel direkt ins Hirn sticht und es riecht nach allem, wonach es riechen kann. Es riecht nach Indien und jeder, der schon in Delhi war, weiß jetzt wahrscheinlich, was ich meine. Es ist ein Geruch, der überall wabert und der sanft und scharf und süß ist. Es riecht nach frischen Mangos, nach Benzin, nach Räucherwerk, warmen Plastik, Schmieröl, Männerparfum, nach Menschendung, Jasmin, frittiertem Blätterteig, nach offenen Latrinen und Essensabfällen, nach trächtigen Hündinnen und Holzkohle, nach warmer Milch und mageren Kindern, Silberschmuck und Haschisch, nach Gold und Rot und Grün, nach zu viel Sonne und staubigen Asphalt. Die Häuser sind zweistöckig, den oberen Etagen fehlt oft die vierte Wand, offene Öfen, Schneiderein, dazwischen Wäscheleinen, eine Baustelle und Männer schleppen, Frauen schleppen, nackte Kinder spielen im Beton mit Beton, Rikschas, Fahrräder, Autos, Fußgänger, Hello Madam, Excuse me Madam, nice scarf, Madam, warme honiggetunkte Brötchen, weiter vorne frisches Lassi von der Straße, am Boden auf Zeitungspapier Verkäuferinnen mit ihrer Ware, where are you from? Which country? Oh Austria, Vienna! Nice country! Als ob sie dort gewesen wären, aber so freudig und dann ein paar Brocken Deutsch, Hallowiegehts! Das Anfahrgeräusch von Mopets und das ständige Gehupe, dann die Rufe von den Verkaufenden, dazwischen steht ein weißes Rind mit gedrehten Hörnern vor einen Wagen gespannt. Es hat Ketten um den Hals und ist mit rotem Henna bemalt. Es steht und wackelt mit den Ohren und kaut und blinzelt, wenn sich Fliegen neben seine großen Augen setzen. Ich stehe lang neben ihm, weil sich da ein kleiner Freiraum ergeben hat, eine umschwemmte Insel. Das Tempo geht weiter, in einer Flaute rutsche ich wieder hinein in die Straße und lass mich zur Ubahn spülen, die ich trotz meiner Orientierungskrise finde.

P1220428

Ich kaufe ein Token für die Fahrt, eine Plastikmünze im Wert von circa 15 Rupien, es funktioniert elektronisch. Durch die Körperkontrolle, das ist einmal was, dann kommt der Zug, ein moderner, schöner Zug. Hier ist Geld investiert worden. Drinnen, die erste richtige Erlösung, kalte Luft und weniger Menschen, als befürchtet. Eine Staion, umsteigen an einer Schnittstelle und dort erinnert werden an New York, da waren damals auch so viele Menschen und heiß war es auch, dann hinunter zur Central Secretariat, nach oben spülen lassen und den falschen Ausgang erwischen. Where wanna go Madam? India Gate? Too hot! Very far! Two kilometers! Only 10 rupies! Die Rikschafahrer haben ihr Geschäft gelernt, ich steige ein und ab die Post zum Gate, der Fahrer zählt auf, wo er mich noch hinbringen kann und was ich noch anschauen soll. Ich sag ihm, dass ich nur beim India Gate aussteigen will, um Fotos zu machen und dass ich später den Weg zum Präsidentspalast gehen werde, er schaut unglücklich drein, aber bleibt am Rand der Spur stehen.

P1220471

Das Gate ist dem Arc de Triomphe nachempfunden, zumindest stand das irgendwo und wahrscheinlich hat es ein Franzose geschrieben auf jeden Fall ist es riesig und unindisch. Männer mit Polaroidkamaras bieten an, Fotos zu machen, eine Frau ist an meiner Seite und will mir eine Hennazeichnung auf die Hand malen, ich fliehe zurück auf die andere Seite, auf dem Walk of Power, der breiten Triumpfstraße. Ich könnte im Schatten der Bäume gehen, lasse es aber bleiben, weil ich dort von jeder Männergruppe angeredet werde, die es sich auf der Wiese bequem gemacht hat und nutze den breiten Rasenstreifen zwischen Straße um Kanal. Trotzdem halten mich zwei Burschen auf und wollen ein Foto mit mir machen, nachher lachen sie, als ich ihnen sage, das kostet jetzt 10 Rupien. Der Weg zur Ubahnstation ist unerträglich heiß und lang, dann wieder durch den Bazaar nach Hause und von den drei Stunden Schlaf in mehr als dreißig Stunden Wachen nicht genug unterstützt dusche ich mir zu Hause den Staub und den Schweiß herunter, die zweite Erlösung an dem Tag, Hand in Hand mit dem Eiskastenwasser von der Rezeption, dann schlafe ich und träume seltsam. Am Abend besuche ich das andere Ende des Bazaars, dort, wo der Bahnhof beginnt und ich setze mich auf einen gemauerten Pflock und beobachte die Straße, bis es dämmert.

Am Abend störe ich einen der Hostelmitarbeiter, der gerade duscht, als ich auf das Dach hinaustrete, wo er seine Wohnung hat. Er lacht und sagt, dass ich nur zum Gitter vorgehen soll, dort ist die Sicht schön, dann seift er sich noch einmal ein und schöpft aus einem Kübel Wasser über seinen Kopf. Der Himmel ist gelb und rosa, dann wird er blaugrau. Auf den Dächern stehen Scherenschnitte von Männern und lassen Drachen steigen, weiter unten trainiert ein Mann mit einer Hantel, neben ihm läuft das Radio. Das Hupen ist weniger geworden.