Mein vorläufig letzter Tag in Delhi, schon früh geht es auf zum Flughafen. Ich habe das aufwachende Delhi noch nicht gesehen und es ist freundlich und ein bisschen verschlafen. Die Kühe sind wieder da und flankieren die Engstelle am Main Bazaar.
Der Flughafen ist der Einschub einer sterilen, westlichen Welt in dessen Duty Free man Cremes um 300 Dollar kaufen kann. Mein ganzer Aufenthalt hat mich bis dahin keine 60 gekostet. Den zweistündigen Flug nach Nepal verdöse ich mit verrenktem Hals wie das eben der Fall ist nach einer Nacht, die von kleinen bissigen Mücken mit Dreiecksflügeln, klebriger Luft und der Horrorvorstellung geprägt war, zu verschlafen.
Der Flughafen in Kathmandu ist anders, als alle anderen bisher. Ein großer, flacher Ziegelbau, mit Holzpaneelen in der Decke und rotgemusterten Teppichen. Am Weg hinaus fragt mich ein Wächter, ob ich abgeholt werde und als ich bejahe und das Kanghsar Guest House nenne, meint er, ich werde schon erwartet. Tatsächlich sind da zwei Männer und ein Junge, die mich mit meinem Namen begrüßen. Der Bub – Keran – setzt sich zu mir auf die Rückbank und redet wie ein Wasserfall, ein charmanter Kerl von 13 Jahren, der Physik mag und Chemie zum Einschlafen findet, der jeden Tag mit dem Mountainbike fährt (ich soll ihn doch begleiten) und der einmal Computer Ingenieur werden will. Im Hotel lerne ich seinen älteren Bruder kennen, den Hotelmanager, der früher auf einer Hütten in Österreich gearbeitet hat und gutes Deutsch spricht. Ich bekomme Tee serviert, süß und herb, die richtige Begrüßung. Das Zimmer ist im obersten Stock, mit Blick auf die anderen Dachterrassen, auf denen Blumen und feuchte Wäsche winken, es ist hell und freundlich.
Ich nehme die Stadtpläne, die ich bekommen habe und machen mich auf den Weg. Die ersten Minuten sind dabei immer die Schlimmsten, das weiß jeder, der sich alleine in einer fremden Stadt zum ersten Mal aus dem Hotel traut. Während des Gehens memoriert man den Weg, die Vorstellung, nicht zurück zu finden, sitzt einem am Rücken. Alles ist bunt und glänzend von der Nässe. Der Monsoon hat schon vorbei geschaut, aber jetzt hängt er griesgrämig über den Bergen fest. Ich suche mir die größeren Straßen im Plan und gehe drauf los, eine andere Möglichkeit gibt es ja doch nicht. Es dauert einige Minuten, bis man in den Rhythmus der neuen Stadt kommt. Er ist anders als in Delhi, wo die Hitze jeden Schritt in Watte packt, er ist belebter.
Der Thamel, in dem mein Hotel liegt, ist von den Geschäftsauslagen gesäumt, die mit ihren bunten Gewändern, Gebetsfähnchen, Filztaschen Freude machen, kaum aus ihm heraußen werden die Straßen breiter und der Verkehr wird schneller. Auf der Seite reiht sich Adidas Store an Pizza Hut und ich fühle mich zum ersten Mal underdressed. Ein Genuss ist es aber, kaum angesprochen zu werden, ich koste das bei einem Café Latte aus, den ich auf einem Hochsessel neben der Straße feiere, während ich die Vorbeigehenden beobachte.
Weiter im Süden komme ich am Tundhikel vorbei, einem riesigen Feld mit hüfthohem Gras, das von breiten Trampelpfaden durchquert ist. Der Grund, der wie eine ungeordnete Kleinform eines Central Parks inmitten zweier Hauptverkehrsstraßen liegt, wird als Sportplatz genützt. Die einen spielen Cricket, die jüngeren Fußball, dahinter fliegt eine Frisbeescheibe. Ich umrunde das Feld und bekomme an einer Längsseite den zarten Geruch von Hanf in die Nase; tatsächlich wuchert eine Pflanze neben mir, die Blätter dem Wolkenhimmel entgegengestreckt wie kleine Hände.
Am Kopf des Tundhikel schließlich sitzt der Asam Tole, der öffentliche Marktplatz, und hätte ich Angst vor Menschen, Hunden, Kindern und schlammigen Böden, würde ich die Zähne zusammenbeißen und trotzdem hineinspazieren, so verlockend sind die Farbmischungen.
Weil ich aber herausgefunden habe, dass es nicht förderlich ist, auf so einer Reise Angst vor irgendetwas zu haben (gesunder Respekt ist besser. Und Bauchgefühl. Und Helmis Augen auf! Ohren auf! im Hinterkopf behalten, sollte alles gut gehen) spaziere ich in den Markt. Auf der rechten Seite umrunden Viererreihen einen Platz und der Gedanke, der in mir aufblitzt, ist dämlich: Hahnenkampf. Tatsächlich ist es ein Volleyballmatch, das hier von den Zusehenden ambitioniert angefeuert wird. Ich bleibe stehen, um zu fotografieren und werde von zwei Mädchen angesprochen. Die eine ist zehn, die andere neun und es sind die reizendsten Geschöpfe, die man sich vorstellen kann. Sie schlenkern mit den Köpfen, als ich sie frage, ob ich ein Foto von ihnen machen darf und rufen mir dann nach: Bye and see you tomorrow!
Auf einer Wolke der positivsten Überforderung schwebend gehe ich neben einem Schmuckhändler in die Hocke, um mir einen Ring auszusuchen. Sofort sind wir umgeben von jungen Männern, die neugierig beobachten, wie viel ich wohl zahlen werde. Es ist einiges, und es ist gut, ich sehe, dass der Verkäufer zufrieden ist und ich bin es auch.
Die Dunkelheit kommt bald, um kurz nach sieben ist sie da. Ich habe mir ein Restaurant gesucht, das nepalesisches Essen verspricht und bekomme mehr serviert, als ich alleine verputzen könnte. Es ist das erste richtige Essen, seit ich unterwegs bin, in Delhi war es zu heiß für diesen Luxus. Ich esse im Garten unter einem duftenden Baum bei Kerzenschein (und alleine, was die Romantik ein bisschen bricht – dafür ist die einsame Romantik von süßester Melancholie) und als ich gehe, ist es stockfinster. Nur aus den Geschäften kommt Neonlicht, die Heranfahrenden blenden mich. Es sind keine dreißig Meter nach Hause und der Stiegenaufgang liegt im Dunklen. Ich frage den Manager, ob das normal sei und er meint, City Problem, der Strom ist eben weg. Aber er wird wiederkommen, so wie der Regen, der gerade einsetzt und den Staub aus der Luft spült.