Stockholm Tag 3// Fartyg som väntar

Söder Mälerstrand

Mein letzter Tag in dieser launischen Stadt und beim Frühstück ist es so leise, wie in einem Wartezimmer. Jedes Tischchen ist einzeln besetzt und ich kaue an meiner Melancholie. Ich will noch nicht wieder zurück nach Wien, ich möchte noch länger bleiben und noch weiter in den Westen. Draußen hat sich Stockholm eine Strickmütze aufgesetzt und die Augen auf Halbmast. Du måste gå, sagt es ausdruckslos zu mir. Ich nicke unwillig und antworte, dass ich noch etwas Zeit hätte, die ich nutzen will. Mein 24 Stunden Ticket gilt bis 11:00 und ich messe mit dem Finger die Distanz auf dem Plan aus, um herauszufinden, wie weit ich fahren kann. Eine Fingerkuppe sind 150 Meter.

Söder Mälerstrand

Hornstull ist die letzte Station, die noch auf dem Plan eingezeichnet ist, dort fahre ich hin. Es gibt eine Uferpromenade und Brücken und es gibt Schiffe, die an das Ufer getaut sind. Hier entlang zu schlendern macht mich zu einem Verkehrshindernis für die Läufer und Läuferinnen, die über das festgetretene Eis springen und in beide Richtungen an mir vorbeiziehen.

Söder Mälerstrand

Die Luft riecht nach Kälte und nach dem Kies am Weg. Als die Altstadt auf der anderen Seite des Wassers nahe ist, sagt mir ein Blick auf die Uhr, dass ich noch genügend Zeit habe, das goldene Ticket noch einmal einzusetzen. Ich hefte mich an zwei Läuferinnen und überquere die Centralbron im Eiltempo, holpere die Stiegen hinunter zur Eingangsschwelle der T-Banan und löse das Ticket vier Minuten, bevor es abläuft. Mein ungeplanter Triumpf trägt mich nach Gärdet, das ist im Norden und der Fingerkuppenweg zeigt mir, dass sich bis zum Abflug alles ausgeht. Vor der Station finde ich den Tessinparken und dann, was mich besonders freut, den Vallhallavägen.

Valhallavägen

Welch ein Name, ich nehme sogar die Stufen für den Überbau, nur um von oben auf Vallhalla schauen zu können. In Östermalm sind die Geschäfte großteils geschlossen, als ich dann doch noch einen offenen Markt finde, gebe ich mein letztes Bargeld aus, um Mitbringsel zu kaufen, wie man das so macht. In der Nybroggatan beginnt es zu schneien, feste, perfekte Schneekristalle. Ich hole meinen Koffer aus dem Hotel und rückte die Haube tiefer in die Stirne. Stockholm begleitet mich die Drottninggatan hinauf zur Central Station, dort hat es Schneesterne in den Haaren.

Jag önskar er en trevlig resa, sagt es leise.

Jeg liker Oslo bedre, sage ich. Men du! Du var svært hyggelig og jeg skal savne deg.

Stockholm rollt sich wieder ein, der Schnee wird mehr und bläst mir in die Augen. Ich kann es nicht mehr sehen, sobald mich der Bus abholt ist es fort. Und jetzt geht es mir ab, ganz schrecklich ab.

Ström

Wien//Schnee

Wenn der Schnee kommt, fasst eine Urgewalt nach der sonst so regelwilligen Stadt. Je länger der Sturm dauert, desto unkontrollierbarer werden die Autofahrer. Straßenbahnen entgleisen und stürzen, da, wo sich die Erde auftut, in eisige Katarakte; um den Dom streichen Bären und Polarfüchse. In der Sicherheit der Wohnungen verbrennen die Menschen alte Zeitungen und hauchen Eisblumen an die Fensterscheiben.

To my dear english readers: why of course, winter is coming.

 

11 Erkenntnisse über ein verschneites Wien

Straßenbahn

1) Der Winterschlaf wird gegen 6:05 von übermotivierten Hausmeistern mit Schneeschaufeln oder Räumfahrzeugen unterbrochen.

2) Leute treten am Morgen vor die Haustür und finden ihr Auto nicht mehr.

3) Leute fahren plötzlich mit der U-bahn, weil sie ihr Auto nicht freischaufeln wollen. Oder weil sie ihr Auto nicht finden. Oder weil sie Angst vor denen haben, die ihres gefunden haben.

Schneeauto

4) Straßenbahnen kommen lange nicht und wenn, dann im Rudel.

5) Die größte Freude am Schnee haben Kinder und Hunde.

Polarforscher

6) Leute gehen mit ihren Kindern und Hunden in den Park, um Schneemänner zu bauen. Nachdem den Kindern zu kalt geworden ist, machen sie alleine weiter, um den anderen Eltern zu beweisen, dass ihre Schneemänner größer und schöner werden können. Hundebesitzer registrieren, dass ihre Hunde in der Regel plötzlich die doppelte Ausdauer haben und vor lauter Schnee vergessen, zu pinkeln.

7) Vorbeifahrende Autos beweisen, dass sie braunen Straßenschnee auf Augenhöhe der Leute schleudern können, die an roten Ampeln warten.

Kaisermühlen

8) In den Eingangsbereichen von Supermärkten wird der Schnee von den Füßen gestampft und vom Kopf geschüttelt, um Nachkommende auf ihren Gleichgewichtssinn zu testen.

9) Schnee gilt als ultimative Entschuldigung für Verspätungen jeglicher Art.

10) Sobald die ersten Meter salzgestreuten Gehsteigs gutgemacht sind, bemerken die meisten, doch keine wasserfesten Schuhe zu besitzen.

11) Schulkinder verlieren während quer über Straßen geführter Schneeballschlachten den letzten Funken Respekt und verwenden Erwachsene als Schutzschilder.

Küssende Schneemänner

Graue Tage

Der November schläft und spannt seine Flügel über das goldene Oktoberleben. Mit ihm nähert sich Dunkelheit und die müde Gleichgültigkeit des Lichts. Morgens kommt es kaum durch die feuchte Luft, am Nachmittag vergeht es so schnell, dass man sich fragt, ob es überhaupt je da war. Nur selten bricht die Sonne durch, dann wird aus der Trübnis ein greller Nebel, der uns die Augen zusammen kneifen lässt, wenn er plötzlich zwischen Häuserschluchten steht. Im Wasser wartet schon der Dezember.

Am Ufer streicht er über das Gras und lässt Raureif zurück. Die Möwen halten mit froststarren Beinen nach Fischchen Ausschau, oder zumindest nach Menschen, die kommen, um altes Brot in die Luft zu werfen. Dann stoßen sie los, schreien mit spitzen Zungen und rufen die anderen, die Tauben und die Krähen. In der Kälte sind sie Brüder und Schwestern. Ziehen sich die Menschen von der Brücke zurück, weil sie kein Brot, dafür aber kalte Finger haben, senkt sich Ruhe auf die Vögel. Sie zerstreuen sich und beginnen wieder zu warten.