Einem anderen Menschen gegenüber zu stehen; der eigene Blick gleitet ab und tastet, offen oder im Geheimen, von niedergeschlagenen Liedern verdeckt, und was er einfängt, sind die Gesichtszüge des anderen, die Stirn, Augenpartie, die Nase hinunter und ein Wischen über den Mund, dann der Gesamteindruck und zur gleichen Zeit wächst in uns der Wald der Einschätzungen und Vorurteile. Wo er sich noch hinverirrt, der Blick, sind die Hände des anderen, die Finger, die unter den Ärmeln herausschauen, die vielleicht gerade beschäftigt sind, still halten sie selten.
Feinmechaniker sind es, und redefreudig sind sie auch. Die Nagelbetten erzählen uns schnaufend vom täglichen Leben, sind sie glatt gefeilt oder spröde und vertikal eingerissen, unregelmäßig lag oder poliert und lackiert, sind sie abgebissen bis ins Fleisch oder überstehend und hinderlich.
Der Blick huscht weiter, über die Glieder und Gelenke der Finger und bleibt an Schwielen, schwarzen, fein schattierten Haaren, an Ringen und Tätowierungen hängen, an Hühneraugen und an kleinen Wunden und Narben an den Knöcheln, an aufgesprungener Daumenhaut, an Adern, die wie Wühlmausgänge unter lascher Haut liegen und bläulich nach oben drängen, an der Grenze zwischen Braun und Rosa, der reizenden Schnittstelle von Handfläche und Handrücken, an fehlenden Fingergliedern und den komisch gewölbten, nagellosen Kuppen.
Mit ihrer Gestik erzählen Hände in einer Tour, fordern auf, senken ab, setzen Punkte und beenden Diskussionen, demonstrieren Zugehörigkeit, trösten, beleidigen oder berühren, nur im Schlaf schweigen auch sie, wenn sie anästhesiert neben dem restlichen, erschlafften Körper liegen und nur hin und wieder im Traum zucken oder über die Bettdecke kratzen.
Und wie die Füße von Balletttänzerinnen ihre Ästhetik ausdrücken, können das die Hände auch. Ein eigener Bewegungscode und Gestenalmanach lässt uns als schön empfinden, was uns die Hände vortanzen.
Dass MalerInnen der letzten Jahrhunderte eine Faszination für Hände aufbrachten, scheint nur allzu verständlich, sind diese doch die ihrigen Werkzeuge, kompliziert gebaute Präzisionsgeräte, die nicht einfach auf die Leinwand zu bringen sind und somit das Feuer des Eifers umso schneller entfachen.
Die Hände der alten Bilder sind so beredt wie die Gesichter und Kleider der Abgebildeten, sind juwelengeschmückt oder mit nur einem Ringlein überziert, sind Kräftig in den Gürtel gesteckt, berühren einander in bedeutender Gestik, streichen aufreizend über die eigene Brust oder durch das Haar, halten allerlei Gegenstände, die angefüllt sind von Allegorie und führen den Blick der Betrachter. Es sind weiche Hände, die Hände der Schönen, rund, blass und glatt, arbeitslos Hände, die sanft berührt und geküsst werden müssen und sie erzählen von Reichtum und Langeweile und von einer schon damals idealisierten Zeit.