Meine erste richtige Nacht ist heiß; der Ventilator wühlt in der feuchten Luft, auch dann noch, als ich aufwache. Zum Frühstück hinauf zum Rooftop Restaurant – wie das klingt! nach Aussicht und leichter Orientbrise vom Meer her. Aber Meer gibt es natürlich keines, auch keine Orientbrise, dafür rotbemaltes Bambusrohr, das einen engen Bereich umzäunt, mit Plastiksesseln und Metalltischen. Ein Bub begrüßt mich und hält mir das Klemmbrett hin, wo ich meine Namen und meine Zimmernummer eintragen muss, dann bringt er mir ein abgegriffenes Tablett mit Cornflakes, einer Banane, einem Mangosaft im Kinder-Tetrapack und zwei in Butter getränkte und angeröstete Toastscheiben. Dazu im Pappbecherchen Milch für die Cornflakes. Es riecht nach Morgen in Delhi. Über das Gerumpel der Ventilatoren schmeichelt das Radio mit seinen Liebesliedern I love you chalalala. Ich esse in Ruhe und schau mir an, was ich mir anschauen möchte. Später dann, als es beginnt, so richtig heiß zu werden, breche ich auf.
Mein Ziel ist das Rote Fort, ein alter, riesiger Gebäudekomplex im alten Delhi aus der Zeit des Mogulreiches, dafür muss ich vorher aber zur Ubahnstation finden. Dort hat sich an der Verkaufsstelle eine Schlange gebildet, die synchron schwitzt. Im Zug dafür herrscht die gütige Hand der Klimaanlage, die mir ins Genick bläst und zum ersten Mal, seit ich hier bin, fühle ich mich nicht wie der überhitzte Motor einer brustschwachen Maschine. Mit dem Verlassen der U-Bahnstation entsteige ich der gefühlten westlichen Welt mit ihren glänzenden Fliesen und der zweisprachigen Beschilderung. Draußen empfängt mich Delhi schreiend am Chandni Chowk, dem Mondscheinbazaar; es ist enger und lauter als je zuvor. Ein Rikschafahrer warnt mich, too crowded Madam, take Rikscha to Red Ford, only 10 rupies. Ich, tapfer, drücke mich an den Rädern vorbei durch kurzfristige Lücken, gehe drauf los, weil ich schön langsam die Verkehrsgrundlage des don’t wait geschnallt habe, und bin mit dem Kopf ganz da, wo man am Hinweg immer ist: am Speichern der Route. Kein Draufloslaufen, sondern Mitdenken, Memorieren und innerliches GPS aktivieren. Zu meiner Linken eröffnet sich die Sicht auf das Rote Fort, das macht den Weg leichter. Die Hitze drückt. An der Kassa zahle ich den Foreigners Price, 250 Rupien, die Residents zahlen 5, aber das ist doch in Ordnung. Ein dicker Guide im Polohemd kommt auf mich zugestürmt und verspricht mir: I am gonna tell you all the stories so you will be more happy. Ich versichere ihm, dass ich already happy bin und dass ich gerne alleine unterwegs bin. Durch den überdachten Bazaar hinein in die Sicherheit des Forts.
Der Lärm wird ausgeblendet, als bliebe er an den roten Steinmauern hängen. Wiesen mit duftenden Bäumen, unter denen liegen Hunde im Schatten und gähnen. Verstreute Gebäude aus den frühen 1640er Jahren, eines schöner als das andere. Das Badehaus des Kaisers, die private Audienzhalle, das Trommelhaus, die Perlmoschee, der Palast der Farben in dem die Frauen lebten, durchbrochen von Grünflächen und roten Wegen. Im Schatten Gruppen von indischen Touristen, ein paar Europäer dazwischen mit roten Köpfen und schweißnassen Haaren.
Ich sitze im Schatten und werde komisch beäugt, bei der Wasserstelle, zu der es mich zieht wie die Fliege zum Licht (und in meiner hypnotisierten Verfassung glaube ich dem Schild, das von filtered drinking water prophezeit), fragen mich zwei Frauen, ob sie ein Foto von mir machen dürfen und ich frage mich, warum in aller Welt und fühle mich seltsam berührt, die Kinder kommen auch für das Bild, das eine Mädchen fremdelt ein wenig während seine Schwester stolz den Arm um meine Hüfte legt, kaum verabschiede ich mich von ihnen stehen schon die nächsten Kerle neben mir und wollen ein Foto haben. Jemand erzählt mir später, dass die Männer Fotos von fremden Frauen machen, um dann allen zu erzählen, dass sie mit ihnen geschlafen hätten, aber so viel Pessimismus ist mir unsympathisch. Ich treffe den Fremdenführer von vorher wieder und er lacht, stellt sich mit in das nächste Foto und plaudert dann über seinen Job, bis er zwei Asiaten entdeckt, denen er sich auf die Fersen heftet, um ihnen sein Wissen anzubieten und sie more happy zu machen.
Zwischen den Säulen der privaten Audienzhalle liegen possierliche Streifenhörnchen am kühlen Steinboden, dahinter kreisen die Adler in Schwärmen über dem Fluss. Die Gewänder der Frauen erblühen zwischen dem hellen Stein. Als ich das Fort verlasse, bin ich glücklich, da gewesen zu sein.
Der nächste Halt sind die Lodhi Gärten im Süden, im neuen Delhi, eine Parkanlage nahe dem Reichenviertel, in dem ein Ferrari aus der Ausfahrt einer modernen Villa rollt, daneben spielen die Jungen Cricket. Eine Frau verlässt eine der Villen, sie ist groß und blond, dazu trägt sie einen grüngoldenen Sari. Sie lächelt mir zu, und ich starre ihr nach, wie einer Erscheinung. In den Gärten ersterben wieder die Straßengeräusche. Die Bäume sind gepflanzt und gehegt, ein artifizieller Dschungel, aus dem Grabhäuser und Moscheen wie Paläste stechen, ewigalt (das Grab des Mohammed Shahs datiert aus 1444).
In den Kuppeln der oktagonalen Grabstätten sitzen Vögel und zwischen den Bäumen verstecken sich Pärchen, die sich aneinanderlehnen und gemeinsam Musik von ihren Smartphones hören. Jeder Lokus Amoenus wird in seiner Heiligkeit von den anderen Parkbesuchern geachtet. Die Joggingroute führt neben dem gesteinten Weg entlang und tatsächlich gibt es Frauen und Männer, die hier entlanglaufen, wo ich im Gehen unter der Hitze hechle.
Bevor die Finsternis einbricht, verlasse ich die Ruhe der Gärten und fahre nach Hause, wo mich der Bazaar vor der Haustür in seiner Abendstimmung aufs Neue verzaubert. Ich kaufe mir eine Blätterteigtasche an einem der Stände und gedämpfte vegetarische Momos von einem Asiaten. Sie sind scharf, wie alles hier, das nicht extrem süß ist. Auf dem Rund des Marktes, zwischen den Händlern am Boden, sind die Kühe erschienen. Sie tragen Ketten aus Seilen um den Hals und wandern vorsichtig an den Ständen vorbei. Ich bleibe in ihrer Nähe und beobachte sie, bis ich die Momos aufgegessen habe, dann suche ich meinen Weg durch die Gassen nach Hause.