Tag 10 Kathmandu – Patan/Lalitpurs Traum

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Lalitpur, wie schön das klingt, wie aus dem Mahabharata heraus. Es ist der Namen einer Stadt, die im Süden Kathmandus liegt und drittgrößte Stadt Nepals ist. Ich war schon einmal dort als ich den Zoo besuchte, heute biege ich aber früher nach links ab und betrete mit allen Sinnen Patan, wie die Stadt ursprünglich hieß, als sie noch ein Königreich war. Am Eingang sind 500 Rupien zu entrichten, die dem Erhalt der Stadt dienen sollen und ich bekomme einen Plan und einen gelben Zettel zum Umhängen, auf dem steht, dass ich brav gezahlt habe.

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Die Stadt ist alt, 2300 Jahre und das Alter findet sich in ihren engen, verwinkelten Gassen und Häusern im Newar Stil, den geschnitzten Fassaden, den unendlich vielen Tempeln und Schreinen, die hinter jeder Ecke warten und dem holprigen Boden. Auf meinem Weg zum Durbar Square, der in der Mitte des Stadtkerns liegt, verlaufe ich mich, aber es ist ein nettes Verlaufen, das mich an den unzähligen Geschäften mit ihren goldenen Götterfiguren, Masken und dem schönen Schnitzwerk vorbeiführt.

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Als ich den Durbar Square dann doch erreiche, taucht der wie eine Lichtung aus dem Häuserwald, eine gut gefüllte Lichtung mit den eindruckvollsten Tempeln, die man sich auf so engem Platz denken kann. Die Könige der Stadt haben dort residiert, heute ist der Platz UNESCO Weltkulturerbe. Die Mallakönige haben den Platz im 17. Jahrhundert geprägt, aber schon früher hat es ihn gegeben, er ist so alt wie die Stadt. Der Krishna Tempel zieht meine Aufmerksamkeit auf sich, er ist aus Stein und hochgewölbt, gebaut um 1637, Steinplatten im ersten und zweiten Stock erzählen aus dem Mahabharata und dem Ramayana, in seinem Inneren sind 21 goldene Tafeln (die man nicht zu sehen bekommt, wenn man kein Hinduist oder Buddhist ist, oder wenn man Leder trägt).

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Der Krishna Tempel ist von den anderen Tempelhäusern umgeben mit ihren mehrstöckigen Dächern und den hölzernen Stegen. Von ihnen aus sieht man auf den Palast, der die Breitseite des Platzes dominiert und den roten Ziegelboden spiegelt.

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Die Tempel, so alt und ehrwürdig sie auch sind, werden lebendig im Tagesgeschehen, denn zwischen ihren Säulen sitzen die Besucher und beobachten den Platz, plaudern oder sind für sich selbst. An der Längsseite des Palastes verbringen die gealterten Söhne der Stadt die müden Nachmittagsstunden, nur hin und wieder spazieren Besucher mir der gelben Plakette vorbei, machen Fotos oder bleiben in den niedrigen Türstöcken hängen.

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Die Offenheit und Ruhe des Platzes tausche ich erst spät wieder gegen den Ameisenfleiß der Nebengassen, in denen es sich trotzdem lohnt, stehen zu bleiben (auch wenn kaum dazu Platz ist) und nach oben zu blicken, um die bunten Fassaden zu betrachten. Beim Verlassen der Altstadt verlaufe ich mich wieder, aber das kann mich nicht mehr schrecken.

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Zwei Kettenverkäuferinnen helfen mir weiter und lotsen mich hinaus zu dem Tor, durch das ich gekommen bin. Vor mir liegt ein etwas zweistündiger Weg nach Hause in die lärmenden Arme des Thamels, aber die ruhige Stimmung des Ortes begleitet mich noch ein gutes Stück des Marsches.

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Tag 9 Kathmandu/ Vertrauensgrundsatz und die höchste Heiligkeit

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Der Tag ist kühler als die vergangenen Tage und das tut sehr gut. Ich studiere noch ordentlich die Karten und mache mich dann zu Fuß zum Boudhnath auf, das im Westen liegt. Der Weg wird mit ungefähr 6,5 Kilometer in eine Richtung berechnet, aber ich nehme wieder einen Umweg, um an den breiteren Straßen zu gehen und mich nicht in dem Gassenlabyrinth zu verirren. Als ich aufbreche, ist verhältnismäßig wenig los, trotzdem steht über einer der breiten Sandstraßen der Staub als helle Wolke.

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Ich muss einige Male die Straßen queren und dafür gibt es bestimmte Regeln.

Die erste muss wohl lauten: gehe nie alleine! Warte auf ein paar andere Mutige und hänge dich an deren Fersen.

Die zweite: Je breiter die Straße, desto größer die Chance überfahren zu werden. Man geht nicht einfach so hinüber, nur weil dort ein nettes Geschäft lockt. Man bleibt auf seiner Seite, außer es hat einen ordentlichen Grund, zu wechseln.

Die dritte: Vertraue keinen Zebrastreifen! Es gibt sie, aber sie sind absolut unnötig, da kein Mensch für dich halten wird.

Die vierte: Schauen! Nach rechts, von dort kommen sie schneller!

Die fünfte: Warte nicht darauf, dass jemand vielleicht langsamer wird, oder stehen bleibt. Geh, wenn die Lücke groß genug ist und wedle mit der Hand, als Zeichen, dass du nicht überfahren werden möchtest. Sie werden schon ausweichen.

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Mit diesem antrainierten Wissen gelange ich nach fast zwei Stunden Fußweg zu der Stupa, die auf einmal zwischen zwei Häuserblocks auftaucht. Anders als das Swahambunath, das erst mühsam erkämpft werden muss mit seinen Stufenaufgängen, und das man schon aus der Weite am Hügel thronen sieht, duckt sich diese Stupa mitten in ein lebendiges Wohnviertel. Und doch ist sie einer der heiligsten Orte für Buddhisten und Hinduisten weltweit. Gegründet wurde sie im fünften Jahrhundert nach Christus und es gibt verschiedene Legen dazu.

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Einig ist sich die Geschichte aber, dass eine Frau die Stupa bauen ließ, und dass eine Menge Göttliches im Spiel war. Aus ihrer goldenen Mitte blicken die Buddhaaugen auf die Herankommenden. Tibetische Flüchtlinge suchen hier einen Ort des Friedens, um die Stupa haben sich viele tibetische Klöster angesiedelt. Als ich komme, tröpfelt gerade der Monsun herab und die grauen Wolken sitzen direkt über den ernsten Augen des Heiligtums. Ich umrunde das Bauwerk im Uhrzeigersinn, so wie es auch die Buddhisten und Hinduisten machen, einmal unten, einmal einen Stock höher. Aus den Lautsprechern der anliegenden Geschäften dringt das Gebetslied über den Platz, Ohm mani padme um, ein sanfter Rhythmus. Aus der Nähe wirkt die Stupa noch beeindruckender. Die bunten Fähnchen sind von allen Seiten zur Kuppel hin aufgezogen und im kühlen Wind bewegen sie sich langsam, als wären sie lebendige Glieder einer überdimensionalen Krake. Auch das rote Tuch unter den Augen rollt im Wind und winkt den Betenden. Ich finde auf den Stufen eines geschlossenen Geschäfts Platz und nehme mir über eine Stunde Zeit, nur um zu sitzen und meinen Gedanken nachzutasten.

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Als ich die Stupa durch die Häuserschlucht verlasse, durch die ich gekommen bin, schlägt mit einem Mal der Lärm zu. Ich hatte ihn drinnen im heiligen Bauch vergessen, draußen prescht er sofort wieder an meine Ohren. Ich habe es nicht eilig nach Hause zu kommen und habe Zeit, die Umgebung aufzunehmen, auch wenn sie an mir vorbeirennt und dabei hupt und dröhnt.

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Auf halber Strecke komme ich an zwei Kühen vorbei, denen der Sinn nach Ausruhen steht. Dazu haben sie sich die Mitte einer breiten Straße ausgesucht, die im nachmittäglichen Verkehr von Mopeds, Autos, Minibussen, Lastern, Radfahrern und Motorrädern geflutet ist. Ihnen scheint der Wirbel gar nicht bewusst zu sein, sie haben sich ihren Platz erwählt und haben nicht vor, ihn so schnell wieder aufzugeben. Wie könnten sie ihre Heiligkeit schöner verkörpern.

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Am Abend ist in der Lobby nichts los, die chinesischen Gäste sind wieder abgereist und von draußen plätschert der Regen an die Fenster. Auf meine Frage, wo die anderen wären, meint Dipendra: It is rainig. They are hiding somewhere. Wir schauen uns auf Manoranjan TV einen indischen Film mit Shah Rukh Khan an und ich bekomme Dipendras Lieblingsschauspieler aufgezählt. An der Spitze steht Nikhil Upreti, natürlich, schließlich ist er Nepali.

Tag 8 Kathmandu/Wenn du dich traust, findest du Perlen und Nähmaschinen

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Ich werde von den morgendlichen Baugeräuschen geweckt und die körperliche Erinnerung an den gestrigen Ausflug ist schmerzhaft. An der Rückseite des Hotels ist eine Baustelle und die Arbeit dort muss vor hunderten Jahren genau so ausgehen haben. Die Männer und Frauen schleppen Schutt in Jutten, deren Gurte um ihre Stirnen geschnallt sind, sie schaufeln Beton und Erde zusammen, balancieren in ihren Zehenschlapfen die sechs Stockwerke nach oben und wieder zurück, auch noch, nachdem die Nacht hereingebrochen ist. Beleuchtung gibt es keine.

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Meinen Spaziergang durch den Thamel, hinunter zum Asam Tole nutze ich, um mich in Lücken zu stellen und meine Umgebung zu beobachten, was nicht leicht ist. Es fehlt der Platz, um stehen zu bleiben, jeder Meter Wegesrand wird genützt und auch aus den engsten, bestuften Hauseingängen kann plötzlich ein Motorrad herausrollen. Auf der Straße spielt das Leben, es wird nach draußen gestülpt, was in Wien hinter geputzten Scheiben oder festen, geschlossenen Türen passieren würde.

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Auf den eng begangenen Straßen sitzen Händler am Gehsteigrand und verkaufen auf Tüchern, was man brauchen könnte, Wattestäbchen, Batterien, Uhren, Unterhosen, Mottenkugeln, Zahnstocher und Handyzubehör, daneben stapeln Kinder die angebotenen Haarkämme zu Häuschen und irgendwo schläft sicher ein Hund zusammengerollt. Dort, wo Touristen gewittert werden, quellen die Geschäfte nach draußen, Pashmina und Cashmere Schals in allen Farben, Schmuck, Lokta Papier (aus einem Baum gemacht, der im Hochland Nepals wächst), Tee und Gewürze, Dhaca (farbenfroher Stoff, sehr detailreich), holzgeschnitze Masken, Rosenkränze aus Rudraksha (Beeren eines immergrünen Baumes) und Khukuris (gefährlich aussehende, gebogene Klingen die von den Gurkhas verwendet werden), alles schwappt hinaus in die ohnehin engen Straßen, ein paar Gassen weiter sind die Schneider zu Hause. Sie sitzen vor ihren winzigen Geschäftsräumen und nähen wunderbare, glitzernde Damenmode, dahinter stapeln sich die Rohstoffe und Bänder, Zwirne und Wollknäuel.

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Man darf sich so einen Geschäftsraum nicht als hell erleuchteten, klimatisierten Point of Sale vorstellen, in den meisten Fällen sind diese Orte nur wenige Quadratmeter groß, im besten Fall mit Fliesen am Boden, oft, vor allem außerhalb der Touristenbezirke, aber nur aus hartgetretener Erde, einer fehlenden vierten Wand, über die in den Nachtstunden ein Metallgitter gelassen wird. Manche Geschäfte entstehen in Hauseinhängen und wachsen des Tages über die Stufen und gegen die Tür, andere erstrecken sich innerhalb der Breite einer am Boden gebreiteten Plastikplane am Straßenrand.

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Die Häuser in der Stadt sind mehrstöckig und marode, mit schiefen Fensterstöcken und Türen, durch die auch der Kleinste nicht aufrecht gehen kann. Wenn ein paar Meter Platz zwischen Haus und Straße bleibt, dann stehen dort Hocker, oder es scharren Hühner, oder ein Mangoverkäufer bietet seine Ware feil. Das ständige Durcheinander von Fußgängern und Verkehr bereitet den ungeübten Touristen naturgemäß Lebensangst, während es die Ansässigen mit einer bewundernswerten Ruhe nehmen. Sie sitzen mit den Rücken gegen die Hauswände, auf Steinstufen und Tempelvorsprüngen, an der Schwelle ihrer Geschäfte, trinken Milchkaffee oder Tee, gehen ihrer Arbeit nach, gähnen, lesen Zeitung, verhätscheln ihre Kinder, essen Süßigkeiten oder flicken Schuhe. Dazwischen mischt sich der Räucherstäbchenduft, oder der gehrende Müllgeruch, das weiche frischfrittierte Honigparfüm oder der erdigfeuchte Atem aus den Hauseingängen.

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Am frühen Abend wird gegessen, ebenfalls draußen und in Gesellschaft. Am Asan Tole haben die Köchinnen einiges zu tun, ihre rollenden Küchen laufen fauchen und gluckern. Verkauft wird das Essen heiß, in Zeitungspapier gepackt, das bald fettglänzend zu dem restlichen Müll am Boden findet, oder in Metallschälchen, die neben dem Stand in einem Lavoir ausgewaschen werden. Der Mais, der den ganzen Tag über angeboten wird, wird über dem offenen Feuer geröstet und wenn gerade kein Holz oder Papier zur Hand ist, verbrennen die Frauen Plastikflaschen. Der Stich des Rauches geht in die Augen und in die Nase, beides ist angegriffen vom Spazierengehen. Nach einer halben Stunde draußen fühlt es sich an, als hätte man drei, vier Lungenzüge von einer starken Zigarette gemacht (und das als Nichtraucherin), so beißend ist die Mischung aus Abgasen und staubiger Luft. Mit der Dämmerung kehre ich nach Hause, wo immer noch das Schaufeln der Baustelle zu hören ist.

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Tag 7 Kathmandu – Nargarkot/ Am Himmel ganz oben

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Der Tag beginnt um 3:30. Als ich in die Rezeption herunterkomme, wecke ich Dipendra Mukhiya, den Rezeptionisten, der dort auf einer Bank schläft, die vierzig Zentimeter kürzer ist als er. Dipendra hat für wenige Sekunden die Aufmerksamkeit eines Wachhundes, kuschelt sich aber wieder zurück in seine unbequeme Situation sobald er sieht, dass keine Gefahr droht. Mein Guide Kapil ist schon da, er nutzt noch das WI-FI und tippt in das Asus Notebook, das er später auf den Berg mitnehmen wird. Er klopft den Fahrer aus seinem Zimmer, Dipendra wacht wieder auf, wünscht mir have a good flight, und wir starten kurz vor 3:45 hinaus in die Nacht. Die Straßen offenbaren im Scheinwerferlicht ihre Buckeln, dazwischen liegen wie lebendige Verkehrsinseln die Hunde, die genug gelärmt haben in den Stunden zuvor (sobald die Nacht da ist, sind die Hunde aktiv und kommentieren lautstark die Angriffsstrategien verfeindeter Rudel) Straßenbeleuchtung gibt es nicht, nur die Werbetafeln an manchen Häuserfronten leuchten den Weg. Wir fahren fast eine Stunde hinaus aus dem Tal nach Nagarkot und treffen am Weg tatsächliche Jogger, die durch das dämmrige Dunkel unterwegs sind. Am Ziel steigen wir hinauf auf die oberste Terrasse des View Point Hotels.

Die Nacht ist blaugefächert und die Wolken sind eisgraue Berge, die über die Wälder hereinrollen. Vögel singen die Morgenlieder, sonst sind noch die chinesischen Touristen zu hören, die auf einem anderen Balkon ihre Stative für das perfekte Sonnenaufgangsfoto stationieren. Nur dass die Wolken Spielverderber sind und die Sonne beschließt, hinter ihnen noch eine Runde zu schlafen. Die Schattierungen werden kräftiger und heller, gegen halb sechs hat sich das klare Tageslicht durch das schummrige Traumland gekämpft und Kapil und ich beginnen den Abstieg. Es ist angenehm kühl und der Morgenwind schmeichelt.

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Wir wandern die Bergstraße hinunter und ich erzähle ihm, dass die Außenamtsseite Österreichs vor „versplitterten Maoistengruppen“ warnt, die in den Bergen, Zitat, ihr Unwesen treiben. Kapil denkt, dass es jetzt keine Maoisten mehr in den Bergen gibt, dann beginnt er vom Bürgerkrieg zu erzählen. Die nepalesische Monarchie war eine Bremse für Weiterentwicklung und Gleichstellung im Volk und als in 1990 das Mehrparteinsystem wieder eingeführt wurde, gab es so viele Parteien mit so vielen unterschiedlichen Forderungen, dass niemand den Durchblick hatte, meint Kapil, der König blieb trotzdem und die Regierung war korrupt. Dann, er muss erst rechnen, weil sein Kalender ein anderer ist als der Westliche, in 2001, wurde im Königspalast (der heute ein Museum ist) ein Ball gegeben. Alle wichtigen Gäste waren dort und die gesamte königliche Familie. Der Kronprinz Dipendra hatte getrunken und Haschisch geraucht, angeblich gab es Streit. Um Mitternacht eröffnete er das Feuer auf seine Familie und tötete insgesamt acht Menschen, also König und Königin, seinen Bruder, vier Prinzessinnen und einen Prinzessinengemahl. Anschließend habe er sich selbst erschossen, sei aber nicht sofort gestorben. Im Spital wurde er zum König erklärt, schließlich war er Kronprinz, aber nur drei Tage später starb er und sein Onkel Gyanendra wurde zum neuen König. Kapil erzählt zuerst die offizielle Fassung, dann meint er, dass das Volk große Zweifel habe, denn der Kronprinz war Rechtshänder gewesen und an einem Schuss durch die rechte Schultergegend gestorben, außerdem war auf den Überwachungsvideos, die nur unter der Hand kursierten, zwar ein Amokläufer zu sehen, der aber trug eine Maske. Außerdem hätte Gyanendra nicht auf den Thron steige können, wäre Kronprinz Dipendra nach dem Attentat nicht König geworden.

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Kapil vermutet, was die meisten glauben, dass Dipendra an Ort und Stelle verstarb und tot zum König erklärt wurde, damit die Monarchie mit dem Tod des alten Königs Birendra nicht verlöschen musste. Kapil erzählt weiter, dass Gyanendra sofort nach seiner Krönung alle vorher mühsam erkämpften Forderungen nichtig gemacht hatte und dass das Volk in den Generalstreik trat. Neunzehn Tage lag rührte sich nichts in Kathmandu, die Lebensmittel gingen aus und Protestierende wurden getötet. Er selbst bekam ein Gummigeschoss in die rechte Brust und hat jetzt noch Narben von der Wunde. Kapil erzählt, dass der König erst spät auf die Forderungen des Volkes einging und dass die Maoisten damals Standpunkte vertreten hatten, die gut waren, aber dass sie später in die Berge geflüchtet sind und sich ihren Lebensunterhalt von Touristen erstritten hätten, was für den Tourismus wiederrum eine Katastrophe bedeutete. Im November stehen die nächsten Wahlen an, sagt Kapil, aber er weiß nicht, wen er wählen soll, da zu viele kleine Parteien an den Start gehen würden. Zuversichtlich ist er nicht, aber die Hoffnung will er noch nicht aufgeben.

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Wir kommen durch Dörfer, deren Häuschen direkt an den Weg gebaut sind. Ziegen stehen auf den Terrassen und Kücken folgen ihren dicken Mamas. Es wird an den freien Wasserleitungen geduscht, Nepali-Style, wie Kapil grinsend meint, auch im Winter. Die Natur ringsum ist überquellend, es wird Mais angebaut oder in den tieferen Lagen Reis, dazwischen sind die scheinbar ewigen Dschungelhänge, die ganze Bergseiten in ihrem Grün bedecken. Es geht bergauf und Kapil, der die Statur eines äthiopischen Langstreckenläufers hat, gazellt voraus, ich, darum bemüht nicht wie eine Dampflokomotive zu klingen, folge ihm eifrig. Als es wieder flacher wird schließe ich rotgefleckt zu ihm auf und stelle beruhigt fest, dass er auch den Schweiß auf der Stirne stehen hat.

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Nach etwa drei durchwanderten Stunden gelangen wir schließlich zum Tempel Changunarayan. Es ist eine Anlage aus 400 nach Christus und der Holzbau ist faszinierend anders als die strahlende Stupa von Swayhambunath. Hier fehlen die Chinesischen Touristen und die Affen, und die Ruhe ist köstlich. Wir umrunden den Tempel und Kapil erzählt mir einiges zu den Statuen, dann malt er sich und mir die rote Opferfarbe eines Gottesbildes auf die Stirne. Ich bin so stolz auf den roten Fleck, wie man stolz sein kann auf die Wanderung, diese ganze Wanderung von Wien hierher.

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Der Fahrer liegt in dem alten Tata und hört Radio, Kapil raucht noch eine letzte Zigarette, bevor wir einsteigen, dann fahren wir nach Hause. Aus dem Nichts hat sich der brüllende Verkehr auf den Straßen manifestiert. Kapil dreht sich am Sitz nach hinten und fragt, ob ich müde sei, keine vier Minuten sehe ich, wie sein Kopf zur Seite sinkt. Auch die quälendsten Mopedhupen wecken ihn nicht und er streckt sich erst wieder aus dem weichen Autositz, als wir zurück im Thamel sind.

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Am Nachmittag mache ich noch einen Spaziergang hinaus, ich wandere zum Hanuman Dhoka, einem Komplex von Palästen, Tempel und Museen, die als Weltkulturerbe eingestuft wurden. Wahrscheinlich liegt es an meiner Müdigkeit, dass sich ein Unwillen entwickelt, 750 Rupien Eintritt zu berappen, und dieser Unwillen wird verstärkt, als ich knapp vor dem offenen Durchgang von einem Wachmann aus der Menge gepickt werde, wie die Maus aus dem Getreidefeld, um mein Ticket vorzuweisen. Dass alle anderen rein und rausspazieren können, ohne kontrolliert zu werden, ob sie denn etwas gezahlt hätten steigert meine Laune, den Preis, der in etwa drei üppigen Abendessen entspricht, zu lohnen, nicht direkt und ich gebe mich damit zufrieden, ein Foto aus der Ferne zu machen und im leichten Nieselregen den Weg nach Hause durch das aufgeweichte Labyrinth des Indra Chowks zu nehmen.

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Tag 6 Kathmandu/ Jaguartrübsal

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In der Früh regnet es den feinen Monsunniesel, die Luft hat aber kaum abgekühlt. Beim Frühstück packt mich die Abenteuerlust und ich buche im hoteleigenen Information Center/ Büro vom Geschäftsführer einen Hiking-Ausflug inklusive Sonnenaufgangschaun, um 3:30 werde ich abgeholt. Bis dahin ist noch gemütlich Zeit, einen Spaziergang in den Central Zoo zu machen, die Route ist ein bisschen weiter als gestern auf den Berg, dafür gibt es keine 365 Stufen und das klingt vielversprechend. Was ich nicht einschätze ist die Distanz, die auf Karten oftmals trügt, tatsächlich sind es circa sechseinhalb Kilometer in eine Richtung über unzählige Straßen und Knotenpunkte, Sonnenschein am Weg.

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Hin brauche ich in etwa eineinhalb Stunden, da ist der Weg noch nicht ganz klar und es ist sehr viel los auf den Gehsteigen. Das Tempo der Fußgänger ist das entspannte Gegengewicht zur Straßenhetze. Ich balanciere an den meisten vorbei, links, nicht rechts und bin sehr stolz auf mich, als ich endlich vor dem Eingangstor zum Zoo stehe. Dort darf man als touristische Cashcow das fünffache des Einheimischenpreises zahlen, mehr als im Roten Fort, aber jetzt nach dem heißen Weg, wo einem der Wind unerbittlich Staub in die Augen wirbelt, wird gezahlt. Im Zoo empfängt mich eine Reihe an rosablühenden Bäumen, dahinter ist ein großzügiger Teich mit grünem Wasser, an den Seiten liegen die Käfige. Es sind keine Gehege, es sind winzigste Pferche, in denen die (zum Glück wenigen) Tiere ihr Dasein fristen. Als erstes fällt mir die fehlende Distanz zwischen Besuchern und Tieren auf, die meisten Käfige sind mit einfachen Maschendrahtzäunen umgeben, bei den wenigsten gibt es noch eine zweite Absperrung.

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Hinweisschilder rufen die Besucher auf, sorgfältiger mit Müll und den Ressourcen umzugehen und die Tierwelt zu achten und zu schützen. Ich sehe mir die Vögel an und die Wasserbüffel, rate, welchem Tier das Ohr gehört, das aus dem Teich ragt und es entpuppt sich als Rhinozeros (habe nicht gewusst, dass sie tauchen können).

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Am Ende meiner Runde treffe ich auf Pawankali. Sie steht neben dem Spielplatz und vertreibt Fliegen mit einigen Ästchen, die der Wärter ihr gegeben hat. Die Leute rundherum haben die Ruhe weg und drängen näher, um Fotos zu machen, nur die ganz Kleinen werden von der Urangst überwältigt und klammern sich weinend an ihre Mamas. Die Elefantendame ist nicht angekettet, was mich, wenn ich an die Restumstände denke, wundert. Sie steht geduldig da, reibt sich mit den Beinen über die Knöchel, fächert mit den Ohren und tastet mit dem Rüssel nach den Geldscheinen, die ihr diejenigen hinreichen, die ein Foto mir ihr machen wollen. Der Wärter sitzt neben ihr auf einem Plastikhocker und ist fliegenklein, aber außer einem Bambusstecken hat er nichts in der Hand. Der Anblick der Elefantin macht mich traurig und irgendwie ängstlich zugleich und ich wandere weiter, an der Hyäne vorbei, die nicht viel anders aussieht, als die Straßenhunde. Sie liegt zwischen dem Unkraut in ihrem Gehege und der Zaun zu ihr geht mir bis zu den Schlüsselbeinen.

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Am Weg nach Hause spanne ich den Regenschirm gegen die Sonne auf, viel zu spät, aber ich wollte zuvor mit dem Spardabank-Rotsignal nicht noch mehr auffallen, obwohl ich hier als Weiße ja ohnehin eine gewisse Narrenfreiheit habe. Man wundert sich nicht, dass ich an den seltsamsten Stellen Fotos mache, dass ich beim Straßenüberqueren mit den Anderen bei Fuß gehe, dass ich unter dem Rock halbzerstörte Converse anhabe oder dass ich vor dem Jagurkäfig ein griesgrämiges Gesicht gemacht, wo die restlichen Besucher entzückt Fotos geschossen haben. Zu Hause sehe ich das Ausmaß des Sonnenbrandes und nehme eine Trostdusche, die das Rot leider nicht besser macht.

Tag 5 Kathmandu//Auf einen süßen Tee bei Affen und Ratten.

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Heute ist Wandertag. Nach dem Frühstück (ich nehme nur schwarzen Tee. Ohne Zucker. Im Blick des Kellners steht Blasphemie) mache ich mich auf den Weg zum Swayambhunat, das liegt westlich vom Thamel und es schaut auf der Karte nicht allzu weit aus. Swayambhu bedeutet aus sich selbst entstanden und die Geschichte dahinter ist, dass einst das Kathmandutal von Wasser gefüllt war und eine Lotusblüte auf die Oberfläche trat. Sie wurde als Zeichen Gottes verehrt, bis später das Tal durch Bodhissattva Manjushri entleert und die Lotusblüte auf den Hügel gepflanzt wurde, wo heute der Tempelkomplex steht. Am Weg hin empfängt mich das vormittägliche Durcheinander, das sich kaum vom Nachmittäglichen unterscheidet. Die Straßenhändler verkaufen ihre Mangos und Ringlotten, die Werkstätten, Schneidereien, Kochstuben an den Straßenrändern haben schon offen, in ihnen sitzen die Fleißigen auf den Böden und arbeiten vor sich hin.

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Wie immer ist es eine Herausforderung, irgendwo hinzufinden, weil Straßennamen zwar existieren, aber in Nepali angeschrieben sind (wenn überhaupt) und weil die Straßen eng und befüllt sind. Man orientiert sich grob an den Zügen der Karte und im Detail an den Geschäften, Heiligenstätten oder Hausecken. Ich komme an die Brücke, die über den Bishnumati führt.

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Der Gestank vom Fluss und seinem Bett ist beklemmend, er ist ein Müllkanal, ein Schlammgott und ich sehe zu, dass ich hinüber komme. Dann geht es bergauf, die gewundene Straße nach oben, bis ich den Swayambhu in der Ferne im Wald thronen sehe, sein goldenes Dach blinkt freundlich. Es dauert seine Zeit bis ich seinen Fuß erreiche, 1400 Meter Höhenlage und das stetige Bergauf plus drückend schwüler Luft machen den Hinweg zu einem feinen Cardiotraining. Ich komme an der Ostseite des Tempels an und die kleinen grauen Ameisenstriche auf meiner Karte entpuppen sich als Stufen. Ich stärke mich mit einem Schluck Wasser und mache mich auf den Weg aufwärts. Nach keinen zehn Schritten hält mich ein junger Mann auf, der sich als Manoj Gomal vorstellt und der nach den üblichen Fragen anbietet, mit mir nach oben zu wandern und mir alles mögliche zu erzählen. Als Kostprobe gibt es ein Ratespiel, das mir sein Wissen präsentiert: Do you know how old Swayambhu Tempel is? 2500 years! Do you know how many steps lead up? 365! One for every day in a year! Die Stufenzahl kann meine Laune nicht drücken und ich versichere ihm, dass ich mit meiner Infomappe gut ausgerüstet bin und starte den Aufstieg. Er ruft mir noch nach, dass ich den Monkeys nicht in die Augen schauen soll, weil sie sonst womöglich angreifen, aber es stellt sich heraus, dass die andere Interessen haben, als sich mit den Besuchern zu streiten.

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Kurz vor dem Ziel wird man zur Kassa gebeten dann taumle ich die letzten, kniehohen Stufen hinauf in die unglaubliche Präsenz der Stupa mit ihren Buddhaaugen und dem Fähnchengeflatter. Meine Beine zittern noch, als ich eine Runde gemacht und die Gebetsmühlen gedreht habe, und sie zittern als ich mich auf den Sockel eines der Schreine setze und über das Kathmandu Tal hinabblicke.

Ein Haufen Chinesen macht Fotos und spielt Musik von ihren Handys, sie sehen verdächtig unverschwitzt aus. Von meinem Feldherrenplatz aus lese ich endlich die Mappe, dort erfahre ich auch vom Westeingang, der per Straße bequem erreicht werden kann (darüber haben die Chinesen natürlich schon vorher Bescheid gewusst).

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Der Swayambhunath ist auf der Liste der UNESO Weltkulturerbe vertreten und 2010 zum 15ten Mal in 2500 Jahren renoviert worden, wozu 20 Kilogramm reines Gold verwendet wurden, das ein hinduistisches Zentrum aus California gestiftet hat. Mein besondere Dank gilt Pratap Malla, der im 17. Jahrhundert die Idee mit den 365 Stufen hatte. Die Tempelanlage gilt sowohl den Buddhisten als auch den Hinduisten als eine der heiligsten Stätten weltweit. Von manchen wird der Ort auch Monkey-Tempel genannt, weil hier die heiligen Rhesusaffen leben, die aus dem Bhodisatta Manjushri entstanden sind. Den Affen wird rotgefärbter Reis geopfert und sie führen zwischen den Hunden und Tauben ein gemütliches Leben, wie es scheint. Ich sehe einem Äffchen zu, das im Opferwasser planscht und dann einkaufen geht, seine Mama sitzt in der Nähe und lutscht an einem Eisstiel, den ihr eine der Verkäuferinnen zugeworfen hat.

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Ich bleibe lange genug, um im Wechselspiel aus schwarzen Wolken und Sonne einen halbseitigen Sonnenbrand zu kassieren und mache mich dann auf den Abstieg. Noch nicht ganz unten holt mich Manoj „Monkeyboy“ Gomal von vorhin ein und fragt, was ich jetzt vorhabe. Ich möchte zum Naturhistorischen Museum und er begleitet mich hin. Am Weg erzählt er mir alles mögliche über den Tempel und darüber, was ich in Kathmandu noch anschauen kann, dann stehen wir vor dem roten Museum, und ich zahle den Eintritt für uns beide. Manoj war schon ein paar Mal hier und er zeigt mir seine Lieblingstiere und fragt jedes Mal, ob es die auch in Österreich gäbe. Es ist das seltsamste Museum und es erinnert mich an das alte Biologiekabinett meiner Schule. Die Exponate stehen in klapprigen Glasvitrinen und sind teilweise so schlecht erhalten, dass man sich nicht sicher sein kann, was das denn für Tiere gewesen waren. Manoj zeigt mir eine Phyton und erklärt, dass er Schlangen nicht leiden könne, dann begeistert er sich für einen Adler, der auf einem Sockel aus Styropor sitzt und die Flügel gespreizt hat. Neben der Käfersammlung und einigen eingestaubten Kräutern und Samen in Plastikdöschen bleibe ich vor einem Elefanten in einem Glas stehen. Er ist so klein wie eine Katze, ein Fötus, aber voll entwickelt, von den kleinen Ohren bis zum Rüssel. Daneben schwimmt ein vierköpfiges Zicklein in Formaldehyd. Wir verlassen das Gruselkabinett und spazieren zurück und Manoj möchte noch einen Tee mit mir trinken gehen. Er schlüpft in den engen Eingang eines Geschäftes und zwängt sich weiter nach hinten, drei Steinstufen hinunter in einen Keller von fünf Quadratmetern.

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Dort stehen zwei schmale Tischchen und  ein Ventilator wirbelt die feuchte Luft. Manoj lässt mir den besten Platz gleich neben dem Eingang und wir bestellen Tee, der direkt hinter den gestapelten Getränkekisten gekocht wird. Oben turnen dicke Ratten durch die Sprite-Flaschen. Ich frage Manoj, was er werden will, wenn er älter ist und er sagt, dass er es nicht wisse, dass er aber Arbeit finden möchte im Ausland. Er hat zwei Geschwister, die bei seinen Eltern außerhalb leben. Er selbst wohnt in der Nähe des Tempels, wo er als Guide arbeitet, aber es wird schnell klar, dass er kein fixes Einkommen hat. Wenn er die 3000 Rupien für die Miete nicht aufbringen kann, muss er sie borgen, das was über bleibt, schickt er seinen Eltern. Seine Schwester ist neun und darf die Schule besuchen, er selbst hat abgebrochen, weil er sich die Gebühren nicht leisten konnte. Sobald er mehr Geld hat, möchte er die Lizenz für das Radfahren machen, dann kann er als Rikschahfahrer arbeiten, aber die kostet 100 Dollar und er ist weit davon entfernt, so viel Geld aufbringen zu können. Trotzdem lacht Manoj, als er von seinen Geschwistern redet und von den vielen Menschen, die er schon am Tempelfuß getroffen hat und mit denen er auf dem selben Tischchen saß und Tee trank. Beim Verabschieden vor der Stube wünsche ich ihm viel Glück und er wünscht mir eine gute Reise.

Zurück geht es schneller, bergab ist es ja doch immer leichter, und in der Stadt sind die Gemüter schläfrig.

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Ich ende den Tag mit einem Spaziergang durch den Thamel und einem visuellen Auskosten der angebotenen Waren. Räucherstäbchenduft hängt im lauen Abend.

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Tag 4 Kathmandu/Hohe Luft und dichte Farben.

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Mein vorläufig letzter Tag in Delhi, schon früh geht es auf zum Flughafen. Ich habe das aufwachende Delhi noch nicht gesehen und es ist freundlich und ein bisschen verschlafen. Die Kühe sind wieder da und flankieren die Engstelle am Main Bazaar.

Der Flughafen ist der Einschub einer sterilen, westlichen Welt in dessen Duty Free man Cremes um 300 Dollar kaufen kann. Mein ganzer Aufenthalt hat mich bis dahin keine 60 gekostet. Den zweistündigen Flug nach Nepal verdöse ich mit verrenktem Hals wie das eben der Fall ist nach einer Nacht, die von kleinen bissigen Mücken mit Dreiecksflügeln, klebriger Luft und der Horrorvorstellung geprägt war, zu verschlafen.

Der Flughafen in Kathmandu ist anders, als alle anderen bisher. Ein großer, flacher Ziegelbau, mit Holzpaneelen in der Decke und rotgemusterten Teppichen. Am Weg hinaus fragt mich ein Wächter, ob ich abgeholt werde und als ich bejahe und das Kanghsar Guest House nenne, meint er, ich werde schon erwartet. Tatsächlich sind da zwei Männer und ein Junge, die mich mit meinem Namen begrüßen. Der Bub – Keran – setzt sich zu mir auf die Rückbank und redet wie ein Wasserfall, ein charmanter Kerl von 13 Jahren, der Physik mag und Chemie zum Einschlafen findet, der jeden Tag mit dem Mountainbike fährt (ich soll ihn doch begleiten) und der einmal Computer Ingenieur werden will. Im Hotel lerne ich seinen älteren Bruder kennen, den Hotelmanager, der früher auf einer Hütten in Österreich gearbeitet hat und gutes Deutsch spricht. Ich bekomme Tee serviert, süß und herb, die richtige Begrüßung. Das Zimmer ist im obersten Stock, mit Blick auf die anderen Dachterrassen, auf denen Blumen und feuchte Wäsche winken, es ist hell und freundlich.

Ich nehme die Stadtpläne, die ich bekommen habe und machen mich auf den Weg. Die ersten Minuten sind dabei immer die Schlimmsten, das weiß jeder, der sich alleine in einer fremden Stadt zum ersten Mal aus dem Hotel traut. Während des Gehens memoriert man den Weg, die Vorstellung, nicht zurück zu finden, sitzt einem am Rücken. Alles ist bunt und glänzend von der Nässe. Der Monsoon hat schon vorbei geschaut, aber jetzt hängt er griesgrämig über den Bergen fest. Ich suche mir die größeren Straßen im Plan und gehe drauf los, eine andere Möglichkeit gibt es ja doch nicht. Es dauert einige Minuten, bis man in den Rhythmus der neuen Stadt kommt. Er ist anders als in Delhi, wo die Hitze jeden Schritt in Watte packt, er ist belebter.

Der Thamel, in dem mein Hotel liegt, ist von den Geschäftsauslagen gesäumt, die mit ihren bunten Gewändern, Gebetsfähnchen, Filztaschen Freude machen, kaum aus ihm heraußen werden die Straßen breiter und der Verkehr wird schneller. Auf der Seite reiht sich Adidas Store an Pizza Hut und ich fühle mich zum ersten Mal underdressed. Ein Genuss ist es aber, kaum angesprochen zu werden, ich koste das bei einem Café Latte aus, den ich auf einem Hochsessel neben der Straße feiere, während ich die Vorbeigehenden beobachte.

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Weiter im Süden komme ich am Tundhikel vorbei, einem riesigen Feld mit hüfthohem Gras, das von breiten Trampelpfaden durchquert ist. Der Grund, der wie eine ungeordnete Kleinform eines Central Parks inmitten zweier Hauptverkehrsstraßen liegt, wird als Sportplatz genützt. Die einen spielen Cricket, die jüngeren Fußball, dahinter fliegt eine Frisbeescheibe. Ich umrunde das Feld und bekomme an einer Längsseite den zarten Geruch von Hanf in die Nase; tatsächlich wuchert eine Pflanze neben mir, die Blätter dem Wolkenhimmel entgegengestreckt wie kleine Hände.

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Am Kopf des Tundhikel schließlich sitzt der Asam Tole, der öffentliche Marktplatz, und hätte ich Angst vor Menschen, Hunden, Kindern und schlammigen Böden, würde ich die Zähne zusammenbeißen und trotzdem hineinspazieren, so verlockend sind die Farbmischungen.

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Weil ich aber herausgefunden habe, dass es nicht förderlich ist, auf so einer Reise Angst vor irgendetwas zu haben (gesunder Respekt ist besser. Und Bauchgefühl. Und Helmis Augen auf! Ohren auf! im Hinterkopf behalten, sollte alles gut gehen) spaziere ich in den Markt. Auf der rechten Seite umrunden Viererreihen einen Platz und der Gedanke, der in mir aufblitzt, ist dämlich: Hahnenkampf. Tatsächlich ist es ein Volleyballmatch, das hier von den Zusehenden ambitioniert angefeuert wird. Ich bleibe stehen, um zu fotografieren und werde von zwei Mädchen angesprochen. Die eine ist zehn, die andere neun und es sind die reizendsten Geschöpfe, die man sich vorstellen kann. Sie schlenkern mit den Köpfen, als ich sie frage, ob ich ein Foto von ihnen machen darf und rufen mir dann nach: Bye and see you tomorrow!

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Auf einer Wolke der positivsten Überforderung schwebend gehe ich neben einem Schmuckhändler in die Hocke, um mir einen Ring auszusuchen. Sofort sind wir umgeben von jungen Männern, die neugierig beobachten, wie viel ich wohl zahlen werde. Es ist einiges, und es ist gut, ich sehe, dass der Verkäufer zufrieden ist und ich bin es auch.

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Die Dunkelheit kommt bald, um kurz nach sieben ist sie da. Ich habe mir ein Restaurant gesucht, das nepalesisches Essen verspricht und bekomme mehr serviert, als ich alleine verputzen könnte. Es ist das erste richtige Essen, seit ich unterwegs bin, in Delhi war es zu heiß für diesen Luxus. Ich esse im Garten unter einem duftenden Baum bei Kerzenschein (und alleine, was die Romantik ein bisschen bricht – dafür ist die einsame Romantik von süßester Melancholie) und als ich gehe, ist es stockfinster. Nur aus den Geschäften kommt Neonlicht, die Heranfahrenden blenden mich. Es sind keine dreißig Meter nach Hause und der Stiegenaufgang liegt im Dunklen. Ich frage den Manager, ob das normal sei und er meint, City Problem, der Strom ist eben weg. Aber er wird wiederkommen, so wie der Regen, der gerade einsetzt und den Staub aus der Luft spült.

Dhal bat Linsen und Reis Nepalesische Küche