Oslo // enten går det bra, –

Was ich am Weg finde
Einen Trödler.
Am Eingang wacht ein Rottweiler, aber er beachtet mich nicht.
Drinnen riecht es nach den Wohnungen abwesender Menschen.
Im Heizraum kann ich mir Schuhe und Taschen aussuchen.
Ich bleibe im Türrahmen stehen, weil mich die Privatheit überwältigt.
Vær så snill og holde orden her!!
Ingen som holder orden her.

Oder liegt die Ordnung gerade im Durcheinander? Ich gehe, ohne in die goldenen Schuhe geschlüpft zu sein, was ich jetzt, Wochen später, bereue.

Was ich am Weg finde
Kalte Fingerspitzen in den Jackentaschen.
Am Meer das Übergebliebene einer Möwe, sie liegt wie im Flug. Noch sind die Schwingen schwarz; in der Sonne täuschen Sie Krähenflügel vor.
Das ist das Meer, hier sterben die Möwen, nicht die Krähen.
Ich betrachte sie und betrachte mein eigenes Skelett in mir.
Mir fehlen die Flügel und die Krallen.
Meine Nase rinnt und ich gehe weiter.

Was ich am Weg finde
Kinderköpfe auf Konservendosen.
Kannibalische Nuance, feinste Leberpastete, aber von wem?
Wessen Spenderleber wurde hier abgepackt?
Ich wiege ein Döschen in der Hand.
Reich an Metall.
Reich an Öl, eigentlich.
Strahlend blau und blond und weiß und reich an vielem.
Ich lege die Dose zurück und kaufe eine Packung Karotten. Das trifft meinen Gusto besser.  

Was ich am Heimweg finde
Die Spuren der Nachtschwärmenden.
Das Vors[spiel] vor dem Höhepunkt der Nacht und  dem eventuellen Höhepunkt des Nachspiels, dann wenn alle von innen erglühen und kalte Hälse haben.
Kos deg, lille venn.
Der Rand der Pizza ist zu hart, aber kos deg mit Käse und Paradeissauce und Schinken oder Kinderleberpastete.
Kos deg, irgendeiner wird deinen Rest der Nacht schon wegräumen.
Ich schlage ein Stück Pizzarand in ein Taschentuch und nehme es am nächsten Tag mit zum Meer.
Mit zur toten Möwe.
Ich will die Lebenden füttern.
Sie schreien vom Himmel und verstehen nicht, was ich von ihnen will.
Das Randstück treibt am Fjordrand,
verschaukelt zwischen den Wellen, die ein Boot schlägt.
Irgendwann kann ich es nicht mehr sehen.

Tasse mit der Aufschrift: entweder geht es gut, oder es geht vorüber.

Oslo//Det betyr ingen verdens ting

Oslo Streetart Norway ends there

1.

Er hält ein Schild, auf dem steht: „Norway ends there. Where the sun is never shining.”

Dazu verzieht er das Gesicht hinter den dunklen Brillengläsern.

Es regnet tatsächlich und ich drücke den Knirps mit dem zu kurzen Griff gegen meinen Hals, um die Hände für ein Foto freizubekommen. Von der Straßenseite her kommt der feuchte Wind und bleibt in meinen Haaren hängen. Es ist Samstagmorgen und in der Kaffeebrenneriet sitzen Menschen mit Halbmastaugen an den Fensterscheiben, davor oder dahinter und warten, was das Wochenende bringt.

Kaffeebrenneriet Oslo

2.

bære lækkert Oslo Postkarten

In der Storgate gibt es einen Innenhof* und in dem Innenhof unter dem Dach des Säulenganges, stehen abgeschlagene Kommoden und Kisten mit Postkarten. Eine Kiste hält sie zu tausend, übereinandergeschlichtete Nachrichten von Einzelmenschen an Familien oder umgekehrt, frankiert med hilsen fra. In den Grüßen zu wühlen fühlt sich falsch an und ich schlichte sie von einer Seite auf die andere, als plante ich ein Kartenspiel, dann suche ich mir drei aus (später weiß ich nicht mehr, weshalb ich mir drei Weihnachtskarten genommen habe).

Auf einer steht:

God jul og godt nyttår. Marie in sauberer, runder Schrift und der Poststempel datiert vom 22.12.1960 (Bergen).

Auf der anderen steht:

Hei farmor!

Takk for julekort vi fikk i dag. Øystein er på julebord på K.N.A. i kveld (så jeg er hjemme ålene for første gang i ny huset. Jeg var på butikken i dag og kjøpte meg tre julestjern så na har jeg pyntet. Juletre har vi og tatt i hus. Men ute er det ingen ting som minner om at det snart er jul, vind og regn. Så vil vi onske deg en riktig god og et godt nytt år.

Øystein – Sonja.

(Danke für die Weihnachtskarte, die wir heute bekamen. Øystein ist heute Abend bei der Weihnachtsfeier des K.N.A (wohl die Abkürzung für Kongelig Norsk Automobilklub?) (somit bin ich zum ersten Mal alleine im neuen Haus.) Heute war ich im Geschäft und habe mir drei Weihnachtssterne gekauft, also hab ich aufgeputzt. Einen Weihnachtsbaum haben wir und er ist schon im Haus. Aber draußen ist nichts, dass daran erinnert, dass bald Weihnacht ist, Wind und Regen. Nun wünschen wir dir ein richtig schönes [Weihnachtsfest] und ein gutes neues Jahr. Øystein – Sonja)

Es ist eine SOS-Kinderdorfkarte, abgestempelt am 22.12. 1988 (Stavanger)

Die dritte Karte frankiert, aber leer. Auf der Briefmarke steht Norge 25 und außerdem ist da ein Bild von Kong Olav 5 in frischem Alter.

bærre lækkert postkort Oslo

Im Antiquitäteninnenhof gibt es auch Mickey Maus Hefte aus den 90ern. Mickey heißt hier Mikke Mus und die Seiten sind wellig vom Wetter.

*http://berrelekkert.no/

3.

Deichman Bibliotek

In der Deichman Hovedbibliotek steht DADA über dem Abendprogramm. Die Sitzreihen sind eng gestellt, Bier oder Wein im Pappbecher kostet 75 Kronen. Das Publikum: Septumringe und Windfrisuren und geometrische Tätowierung, ein Geist schöner als der andere.

didaktisk dukketeater

Der Handkasperl im didaktisk dukketeater sagt: Det sier seg selv, at kreative innovasjonsaktiviteter avhenger av prossesorienterte fleksibilitetskompetanser. Dann schießt er Funken aus einer Phallussprühkerze. In der Pause gehe ich auf die Toilette und bin enttäuscht, dass die schönen Nachrichten weggewaschen wurden, die damals noch auf den Fliesen gestanden sind.

Was da stand, als ich vor zwei Monaten hier war:

Toast is bread held over direct flame until crisp.

Jeg vil være fri og fanget på samme tid…

4.

Oslo T Banedrift

Am Abend geht der Plan, von einer Anhöhe aus auf die Stadt herab zu blicken, nicht auf. Ab Voksenlia liegt Schnee auf den Bahnsteigen und mein Gesicht spiegelt sich blass in den Scheiben des leeren Zuges. Da, wo ich hinatme, bilden sich schmale Rinnsale.

Die Endstation Frognerseteren steckt in Nebel, dahinter gibt es nichts außer Dunkelheit und Wald (?). Irgendwo sind die Menschen hin und sie haben die Stadtlichter mitgenommen.

T banedrift oslo

Oslo// Omvendt hjemlengsel

Oslo Opera

Meine teure Aussicht ist ausgewaschen und klar, bis über die Stadtgrenzen hinaus. Ich bleibe bei ihr stehen und sehe den Enten zu, die am Akerselva-Ufer im nassen Gras liegen. Dann packe ich den Koffer fertig.

Die Wehmut darüber, dass ich in einigen Stunden wieder zum Flughafen muss, macht den Kaffee schal, die Orangenmarmelade fad und mein Brunost Knekkebrød spröde. Ich esse langsam und untersuche derweil den Stadtplan.

Meine teure Aussicht Oslo

Meine Aussicht hat mir jeden Tag das Norsk Design og Arkitektur Senter vorgehalten und am letzten Tag schaffe ich endlich den Sprung über den Fluss hinüber. Ich stehe schon vor der Tür, als geöffnet wird und drinnen riecht es nach frischem Kaffee.

Storting Oslo Parlament

Dann beschließe ich, politisch zu werden, zumindest passiv. Darunter verstehe ich, im Storting zu sitzen und dem Tagesprogramm zuzuhören. Der Parlamentssaal ist ein Prunkraum aus Gold und Rot und keltischen Knoten in den Deckenmalereien. Ich sitze oben in der Galerie und unten stellt sich Erna Solberg der spørrtime. Die Staatsministerin ist in ihrem blauen Kostüm eine beachtliche Erscheinung. Es geht um Asylsucherzahlen und um Arbeitslosenquote und meine Augen kratzen vor Müdigkeit, weil die Nachtstunden kurz waren. Siv Jensen sitzt in der Nähe, wippt mit den Stöckelschuhfüßen und ist, im Gegensatz zu den meisten anderen im Raum, nicht mit ihrem Handy beschäftigt. Nachher gibt es ein Pressetreffen, das sehe ich durch die geeisten Fenster am Weg hinaus. Wahrscheinlich komme ich heute ins Fernsehen, wie ich hinter Erna als seltsam umrissener Geist mein Gesicht gegen die Scheibe halte.

Oslo sjø

Natürlich muss ich noch einmal zum Meer hinunter. Am Weg hin komme ich am Filmmuseum vorbei und kehre kurz ein. Das nächste Mal komme ich mit mehr Zeit wieder, so rausche ich an Laterna Magicas und Filmplakaten aus den 20ern vorbei, ohne lang genug hinzusehen.

Runway oslo 1

Von weitem stimmt mich die Oper wieder freudig, meine geliebte Marmorinsel. Aber als ich näher komme, sind die Drehtüren noch geschlossen und vor dem Eingang hat sich ein speziell gekleidetes folk versammelt, das auf den Einlass zum Oslo Runway AW 16 wartet.

Runway Oslo AW 16

Ich verlasse die spannende Hipster Bonanza und wandere die Hafenpromenade weiter. Vom Fjord her fehlt heute der Wind und die drei, vier Grad sind ein ideales Spazierwetter, wenn man mit Mantel und Wollmütze unterwegs ist.

Nornen Oslo skip

Da liegen tolle Schiffe vertäut und wenn ich mich mit Schiffen auskennen würde, würde ich vielleicht mehr Fotos machen und über das eine oder andere einen kleinen Nerdgasm loslassen. So sehe ich aber nur große und kleine Schiffe, Schiffe, die nach Wachen und Verteidigen oder nach helgetur aussehen.

Dahinter liegt das Meer still und glatt unter dem wieder weißen Himmel. Ich bleibe am Promenadenufer stehen und denke an gar nichts.Oslo sjø

Als es Zeit ist zu gehen, hat sich die Müdigkeit in Resignation und verkehrtes Heimweh verwandelt.

Oslo Streetart

Gib der Ruhe einen Namen, nenne sie Oslo, kjære Oslo.

Operaen Oslo

Im November dauert die Morgendämmerung so lang wie die Abenddämmerung und an Regentagen spielt der Himmel von grau auf weiß auf grau und dunkelgrau, dunkeldunkel. Am Morgen ist es kühl, vor dem Fenster des Sentrum Pensjonat holpert ein Koffer über die Regenrillen im Trottoir. Durch das Fenster zieht die Morgenluft und wirbelt den Orangenschalengeruch vom Heizstrahler. Ich werfe die Schalen weg, die sind hart geworden über Nacht.

Aus dem Bad am Gang kommt ein asiatisches Mädchen mit nassen Haaren und einem Hello Kitty Shirt. Wir sehen uns nicht an, als wir aneinander vorbeigehen, sie verschwindet hinter einer Türe, ich suche in der einen Spiegelhälfte, die nicht blind ist, nach meinem Morgengesicht.

Operaen Oslo

Ich höre die Möwen, bevor ich das Meer sehe, und dann hebt sich aus dem Meer die Oper. In den Prospekten im Hostel war sie ein verschrobenes Bild rechts unten gewesen, jetzt stecke ich die Hände in die Taschen und bestaune sie aus der Ferne. Ihr Weiß schmilzt in den Himmel und Zinnsoldatmenschen wandern an ihr bergauf und bergab. Ich nehme ihre hellen Winkel und steige auf der einen Seite nach oben, dort wo die Sicht auf die neuen Glashäuser frei ist, die aus dem Boden gezogen werden, dann spaziere ich über ihren Rücken hinüber. Hinter den Fjorden ist der Himmel stählern, Möwen sitzen auf den Mauern.

Oslo Opera

Auf der Karl Johans Gate sind Menschen zu finden, Menschen mit Einkaufstaschen und Bettelschildern, dazwischen kreuzen die Schienen der Straßenbahnen, in den Nebengassen reflektieren die blanken Scheiben die gegenüberliegenden Fassaden. Am Kopf der Karl Johans Det Kongelige Slott, ein cremfarbener Bau am Rotbraun des Hügels. Davor die königliche Garde in ihrer braven Geschäftigkeit.

det kongelige slottet

Unten am Meer, bei Aker Brygge verlieren sich die Farben in der ausbalancierten Architektur des Astrup Faernley Museums und fallen in das Wasser, das so ruhig liegt, als wäre es nur eine Kulisse.

astrup faernley

Am äußerten Eck des Tjuvholmen Skulpturpark setzte ich mich an die Mauer. Der nede er havet, der oppe er skyene, beides paart sich im Fluchtpunkt. Das Licht wird weniger, es ist kurz nach drei.

astrup faernley museum

Der Akerselva braut sich zwischen seinen schmalen Ufern zu einem Gischtberg, aber schnell ist er wieder eine ruhige Blindschleiche. Im Abendlicht der Straßenlampen glänzt seine grüne Oberfläche, an den Brücken treffen sich Hundebesitzer und nicken sich zu.

Ingens Gate

Ich wandere zurück zum weißen, spitzen Opernberg, weil ich die Nacht über der Stadt sehen will. Es ist hell geworden und ich stehe in Stille. Jeg tror, jeg ble forelsket. Kanskje jeg ble forelsket i deg, kjære Oslo.

Oslo Skyline