
Die Nacht zum 15 April ist kalt und feucht, und um sechs, sieben, als diejenigen aus den Federn kriechen, die laufen wollen, hat es draußen fünf grad und der morgendliche Wind weht einem Feuchtigkeit ins Gesicht.
Start ist auf der Wagramerstraße, knapp vor der Reichsbrücke, um neun. Die Garberobe LKW warten schon geduldig auf die Läufer, die es noch nicht eilig haben in der Früh. Sie sammeln sich in Grüppchen und schütteln ihre Beine, wie Rennpferde kurz vor dem Start. Die Garderobesäcke werden dick angefüllt an diesem Tag, Jacken, Schuhe, Handys, alles was nicht mit auf die Strecke kommt, aber nachher sofort zur Hand sein soll. Gegen halb neun ist der Rasenstreifen zwischen der Straße zum Lagerplatz geworden, nach vorne hin schiebt sich die Masse zusammen, ein buntes Bild. Um neun der Startschuss, die Elite voraus, das Getrappel über die Reichsbrücke beginnt. Es dauert noch einige Zeit, bis auch die letzten endlich über die Donau laufen können.

Highlight des Rennens ist die Verfolgung der gesundheitlich angeschlagenen Paula Radcliffs durch Haile Gebrselassie, beide auf der Halbmarathonstrecke unterwegs und in einem Tempo, das Normalsterbliche vielleicht noch am Rad durchhalten würden. Er überholt sie auf Kilometer 16, obwohl er später startete und kommt nach 60 Minuten und 52 Sekunden ins Ziel, Radcliffe trifft knappe elf Minuten nach ihm ein.

Von dem Trubel bekommen die meisten Läufer und Läuferinnen nichts mit. Sie sind mit der Strecke beschäftigt, die sich in einigen Schlaufen durch Wien windet, mit der Verpflegung und dem Publikum am Streckenrand, mit den Polizei und ORF Hubschraubern und den anderen Laufenden.
Der sechsundzwanzigjährig Henry Sugut ist der erste Mann, der die Ziellinie der Marathonstrecke durchläuft und einen neuen Streckenrekord aufstellt. Knapp unter 2 Stunden und sieben Minuten, 42 Kilometer und im Ziel gehen seine Beine weiter, als ihm zugejubelt wird und eine Traube an Menschen um ihn ist, um zu gratulieren. Die erste Frau im Ziel, wie im Vorjahr, Fate Tola, vierundzwanzig, mit 2 Stunden 26. Während die Sieger und Siegerinnen schon im Topathletenzelt umsorgt werden, schiebt sich die Masse draußen noch am Heldentor vorbei. Die meisten haben die halbe Strecke noch vor sich.
Die, die es geschafft haben, bemerken, dass ihr Beine kein Teil des Restkörpers mehr sind: sie blockieren in der Bewegung und zittern, und staksig geht es in die Duschen, zu den LKWs mit den Garderobesäcken, die eine plötzliche Last werden. Man sitzt am Randstein und massiert die Waden oder starrt ins Leere, aber man sitzt nicht lange, weil der Wind unwirtlich ist, als hätte er sich vorgenommen, die Menschen schnell wieder von seiner Spielwiese zu vertreiben.
Nach sechs Stunden ist der Zauber vorbei, die allerletzten kommen eingetröpfelt, in einem mechanischen Schlurfschritt, der, der vor dem Kehrwagen läuft und noch irgendwie ins Ziel geschoben wird, wird vom Rennleiter mit Blumen in Empfang genommen. Auch ein Sieger.

Die Regenponchos, die gegen die Kälte ausgeteilt wurden, wehen über den Platz zwischen den Museen und wieder blickt Maria Theresia hochmütig herunter auf dieses seltsame Treiben. Was sie wohl davon gehalten hätte? Nicht viel, lässt sich ihr unterstellen.
Ein paar sitzen noch zwischen den LKWs, die inzwischen leer sind, kauen auf ihren Bananen und denken an ihre Betten. Es wird ein paar Tage dauern, bis die Schmerzen vorbei sind und dann wird auch der bittere Vorsatz, im Leben nie wieder einen Marathon zu laufen, vergessen. Die Anmeldung für 2013 ist schon offen.