Wachau Frühlingswiese

Ich weiß nicht, wo du die letzte Zeit über warst

und ich will es auch nicht wissen,

wenn ich ehrlich bin,

ist es gut gewesen ohne dich.

Aber jetzt bist du zurück und die Leute freuen sich und gehen hinaus und sagen Schau, wie schön es ist in der Sonne und brechen Kirschblüten ab und stellen sie zuhause in eine Vase.

Herr Träumer, Herr Weltenerwecker, ich möchte doch viel lieber schlafen.

Apfelblüte

 

Semmering//Eselstein

Wenn der Wald im Winde rauscht, Blatt mit Blatt die Rede tauscht, möcht ich gern die Blätter fragen: Tönt ihr Wonne? Tönt ihr Klagen?

Justinus Kerner 1786-1862/ Der Grundton der natur

 

 

 

 

 

Wien//Trafik

Wer von Zigaretten oder Parkscheinen oder der neuesten Ausgabe irgendeines Wochenblattes abhängt, weiß, wo die nächste Trafik ist, während weniger Aufmerksame gerne an den ebenerdigen Monopolhandelsstellen vorbeispazieren, ohne sie zu bemerken. Es sind seltsam bipolare Orte, die Trafiken. Oft schuhkartonkleine Einzelhandelsunternehmen, bis nach oben hin angefüllt mit Schreib- und vor allem Tabakware, in denen trotz öffentlichen Rahmens kein Rauchverbot herrscht, wo – ganz im Sinne der ursprünglichen Intention, Kriegsinvaliden und Witwen ein Einkommen zu ermöglichen – immer noch vor allem Menschen mit Behinderung angestellt werden, die man aufsucht, wenn man die neue Autobahnvignette kaufen oder seinen Lotto-Toto Tipp setzen will, oder um einen Plausch mit der Trafikantin zu halten. Manche Trafiken verzichten ganz auf den Verkaufsraum und sind nach innen bestückte Schatzkisten, die nur durch ein Fenster hinausverkaufen. Neben den altehrwürdigen (die womöglich seit über zweihundert Jahren bestehen) finden sich die neuen mit ihren blinkenden Schildern und den E-Zigaretten in der Auslage; Anlaufstelle für Suchende jeder Art bleiben diese urösterreichischen Institutionen in beiden Fällen.

To my dear english readers: This might kill you.

12 Vorurteile über das sterbende Jahr

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1.) Es gibt immer welche, die es nicht erwarten und die Raketen vor dem 31. in einen nebeligen Nachmittag hineinschießen. Dann knallt es und irgendwer wird den Kopf schütteln und feststellen, dass es schon los geht.

2.) An den Klappständen am Straßenrand kann man Rauchfangkehrer, Schweine, Marienkäfer und vierblättrige Kleeblätter aus Plastik oder Marzipan erwerben. Niemand weiß, was mit den Glücksbringern im Laufe des Jahres passiert, auf jeden Fall verschwinden sie, weshalb man in 12 Monaten gezwungen ist, neue zu kaufen.

3.) Am Abend gibt es Fondue. Labile Gemeinschaften zerbrechen daran, dass es einen gibt, der sich die Farbe seiner Fonduegabel nicht merken kann und ungeniert die Gabeln der anderen herausfischt.

4) Das herannahende Jahresende gibt Anlass für weinerliche Nostalgia oder plötzliche Zuversicht; auf jeden Fall Grund sich zu betrinken.

5) Wer den Fehler macht, das Radio aufzudrehen, wird früher oder später Europe mit The Final Countdown hören und von den Durchsagen Noch zwei Stunden und dreißig Minuten in eine nervöse Endzeitstimmung versetzt werden.

6.) Wenn sich Mitternacht endlich nähert, ist man im Freien. Dort wo es kalt ist, wo es lauter knallt als drinnen, wo es nach Schwefel stinkt und wo man mit schlechtem Karma den Stil einer abgebrannten Rakete auf den Kopf bekommt. Derweil läuft drinnen Dinner for One.

7.) Mitternacht! Man findet kein Werkzeug, um die Raketen anzuzünden. Feuerzeuge sind leer, in Streichholzschachteln nur Hölzer mit schwarzen Köpfen (da hat man sie hingetan, damals, als sie noch heiß waren und man kein Loch in die Tischdecke brennen wollte). Raucher geben ihre Zünder nicht her, weil sie Angst haben, sie nicht wieder zu bekommen. Und weil sie die letzte Zigarette rauchen wollen, bevor die Neujahrsvorsätze schlagend werden.

8.) Man realisiert wieder, dass der Donauwalzer mindestens 12 Minuten dauert. Und dass kein Mensch so lang Walzertanzen kann. Zum Glück folgt ihm ABBAs untanzbares Happy New Year.

9.) Menschen, die betrunken genug sind, seit längerem nicht mehr in den Vertrauensgrundsatz zu fallen, hantieren mit Raketen und Böllern. Und dann gibt es immer welche, die den Zündstoff zu nah neben anderen explodieren lassen, zu schräg abschießen oder zu lang in der Hand halten.

10.) Es finden sich Raketen, die eine super Aufmachung haben, dann aber nicht schöner sind als die vom Nachbarn. Die wirklichen Knaller hat man schon am vorigen Nachmittag verschossen. 

11.) Mit dem jungen Jahr ist die Zeit gekommen, Vorsätze zu formulieren, die je nach Stimmung mehr oder weniger schnell im seligen Meer des Vergessens ertrinken. Gleichzeitig vergisst man, die Glücksbringer zu verschenken oder man kann sich nicht mehr erinnern, wo man sie hingetan hat.

12.) Alles wird besser im nächsten Jahr. Jedes Jahr aufs Neue.

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11 Erkenntnisse über ein verschneites Wien

Straßenbahn

1) Der Winterschlaf wird gegen 6:05 von übermotivierten Hausmeistern mit Schneeschaufeln oder Räumfahrzeugen unterbrochen.

2) Leute treten am Morgen vor die Haustür und finden ihr Auto nicht mehr.

3) Leute fahren plötzlich mit der U-bahn, weil sie ihr Auto nicht freischaufeln wollen. Oder weil sie ihr Auto nicht finden. Oder weil sie Angst vor denen haben, die ihres gefunden haben.

Schneeauto

4) Straßenbahnen kommen lange nicht und wenn, dann im Rudel.

5) Die größte Freude am Schnee haben Kinder und Hunde.

Polarforscher

6) Leute gehen mit ihren Kindern und Hunden in den Park, um Schneemänner zu bauen. Nachdem den Kindern zu kalt geworden ist, machen sie alleine weiter, um den anderen Eltern zu beweisen, dass ihre Schneemänner größer und schöner werden können. Hundebesitzer registrieren, dass ihre Hunde in der Regel plötzlich die doppelte Ausdauer haben und vor lauter Schnee vergessen, zu pinkeln.

7) Vorbeifahrende Autos beweisen, dass sie braunen Straßenschnee auf Augenhöhe der Leute schleudern können, die an roten Ampeln warten.

Kaisermühlen

8) In den Eingangsbereichen von Supermärkten wird der Schnee von den Füßen gestampft und vom Kopf geschüttelt, um Nachkommende auf ihren Gleichgewichtssinn zu testen.

9) Schnee gilt als ultimative Entschuldigung für Verspätungen jeglicher Art.

10) Sobald die ersten Meter salzgestreuten Gehsteigs gutgemacht sind, bemerken die meisten, doch keine wasserfesten Schuhe zu besitzen.

11) Schulkinder verlieren während quer über Straßen geführter Schneeballschlachten den letzten Funken Respekt und verwenden Erwachsene als Schutzschilder.

Küssende Schneemänner

Von Rotkäppchen und Jaguaren am Nationalfeiertag

Wohin drängt es einen am arbeitsfreien Nationalfeiertag, hinaus auf die Straße, hinaus, die anderen anschauen, die auch draußen sind und das sind einige. Aber nicht in den Restbezirken Wiens, dort ist es still, dunkle Geschäftsvitrinen, Parkplätze – ein Ding der Unmöglichkeit – und aus dem einen oder anderen Fenster quellend eine Fahne, selten gesehen, nur noch an den grauen Gemeindebauten, dort müssen sie flattern. Dort, wo sie kaum jemand sieht, weil sie alle drinnen sind, in der Stadt, im Ersten. Ein kurzer Vorgeschmack auf die Zeit, wenn die Christkindelmärkte wieder aus dem Boden wachsen und mit ihnen die Reisebusse, die Menschen aus den umliegenden Ländern heranschippern.

Die Orte des Geschehens sind Michaelator und Heldenplatz, ausgerechnet dort. In den Tagen zuvor sind Panzer und Hubschrauber und weiß der Teufel was alles angekarrt worden, um die Wiese des Platzes zu zerknautschen, graugrüne Metalldinger, diese Fremdkörper, die da aus den Menschengruppen herausragen. Kinder in bunten Winterjacken, die hinein und herausgehoben werden aus den Kriegsattrappen, an Gewehren hantieren dürfen und mit aufgeblasenen Backen imaginäre Kugeln abfeuern, die Eltern überfordert von der plötzlichen Gewaltlust des Nachwuchses und dem Langos in der anderen Hand, und wenn es kein Langos ist, ist es eben eine Käsekrainer oder ein Pappendeckelteller mit Schinkenfleckern, sehr österreichisch, sehr kohlenhydratlastig.

Auf dem Platz vor der Nationalbibliothek fahren heute Wagen spazieren mit Rädern, die sicher alle Spezialnamen haben und sie schießen und wackeln und machen eine Menge Lärm, rundherum die begeisterte Meute, wenn der Jaguar angreift, so ein hässliches Ding, Rauch steigt auf und einige klatschen, die meisten machen aber nur Aufnahmen mit ihren Smartphones, die andere Hand in der Jackentasche, wo es nicht so kalt ist.

Zwischendurch kommen Menschen vom Himmel gefallen, in rotweißroten Fallschirmen und landen graziös auf der Zufahrtsstraße, allgemein bewundert, dass sie da so genau hingetroffen haben, das ist ja fast wie in Amerika.

Zwischen den offensichtlichen Feiertagsbesuchern, denen, die hin und wieder ein Foto machen, das eine Fahrzeug angreifen, mit angezogenen Schultern vor dem Hubschrauber stehen und darauf warten, dass etwas passiert, ihre Kinder aus den Panzern zerren und ihnen dann ein Zuckerwatte kaufen, zwischen denen finden sich die Offiziellen, die Heeresmenschen und die sind schnell an der unfeierlichen Wahl der Kleidungsfarbe zu erkennen, es überwiegen die Erdtöne. Einige bewachen das Metallzeug, einige zeigen, wie schnell sie einen Baumstamm zersägen können, andere geben willig Auskünfte, andere werden angelobt.

Und dann sind die ganz kuriosen unterwegs. Eine Gruppe an Musikern in Kaiserstracht, mit gelber Flagge und schwarzem Adler, ein Pärchen mit Couleur und  zum Glück ohne Degen, und dann noch die ganzen Vögel in ihren Phantasieuniformen, die sich unter das Volk mischen und ihre Orden blitzen lassen und sie sind auf jeden Fall die Einfallsreichsten.

Und was wird gefeiert außer den Uniformen und den Käsekrainern? Das wissen nur die Klugscheißer.

Der vergessene Tod

Normalerweise setzt sie erst im November ein, diese seltsame, plötzliche Morbidität, dieses Verlangen, einsam hinaus zu pilgern in die Natur, blätterleer und feucht, die Kälte an den Ohrläppchen und am Kinn und dann hinaus zufahren mit dem Einundziebzigerwagen zum Zentralfriedhof.

Umringt von Backsteinmauern mit schwarzen Metallzäunen, die sagen: hinter uns liegt Edles und Erhabnes und verhalte dich still und demütig, liegt das Areal mit einer Fläche von zweieinhalb Quadratkilometern, ein mehrgesichtiges Land, einerseits straff von Wegen gekreuzt, mit Gräbern, deren Säumungen von Handschneidern getrimmt werden, wöchentlich, polierten Grabsteinen und wechselnden Blumen in den verankerten Vasen, ein korrekt angelegtes Viel an Totenlager, und dann, auf der anderen Seite, die verwucherten Alleen, in denen Efeu der einzige Herrscher ist, der wilde Wein geduldet und die Sträucher, die einmal klein angesetzt worden waren, irgendwann die Grabespfleger überlebten und ausbrachen, hinüber zu den Nachbarsgräbern und weiter.

Der alte jüdische Friedhof, ein plötzlicher Wald. Aus dem weichen Boden kommen Grabsteine, verwitterte Gesellen mit Gravuren, die gerade noch gelesen werden können, oder Prachtgräbern, die vom Grün erobert und zugedeckt wurden. Nichts, das nicht verfällt, nicht die drei Millionen Menschen, die hier begraben sind – also fast doppelt so viele, wie in Wien leben – nicht die Erinnerungen an sie. Unvergessen wird zu einem leisen Hohn, der Grabstein liegt schon lange auf der Seite, zur Hälfte im Boden versunken. Das Vergessen ist heilsam, das müssen wir lernen. Unbedarft spaziert man zwischen den geliebten Kindern und ehrvollen Eltern, den Arbeitssamen und Gütigen, denen niemand etwas Böses nachsagen wollte, als die Grabsteine geschliffen wurden, wo wäre auch der Sinn gewesen, die Toten zu beleidigen ist ein schales Vergnügen.

Man liest Namen, als wären es Figuren eines Romans, vergleicht Geburts- und Sterbejahre, denkt über Familienverhältnisse nach und kommt näher, um die Porzellanbilder zu betrachten, die Menschen in Sepia zeigen, jung oder im Alter und lebend, und man denkt nicht daran, dass die letzten Reste von ihnen gleich unter den eigenen Füßen begraben sind, dass es so viel Geschichten zu erzählen gebe und niemanden, der sie hören will. Es sind verschwundene Geschichten von verschwundenen Menschen und kurz überkommt einen die eigene Unbedeutsamkeit. Man macht sich auf den Weg mit einem melancholischen Gefühl im Genick und spielt mit den Fingern am Rand der Jackenärmel und dann redet man sich ein, dass es gut ist zu vergessen und dass es gut ist, davor zu leben.

Wiener Prater

Ein Gewitter zieht auf. Unten wird es so lange ignoriert, wie die dunklen Wolken zu bluffen scheinen, unten, das ist im Wurstelprater, dem bunten Sammelsurium im zweiten Bezirk, eingeklemmt zwischen Hauptallee und Ausstellungsstraße. Wurstelprater sagt heute kein Mensch mehr, das war er früher vielleicht einmal, dann 1873 in Volksprater umbenannt, und weil Volk in Wien noch weniger funktioniert als Wurstel sind irgendwann diverse Vorsätze gefallen und über blieb Prater.

Wiener Riesenrad

Verwirrung stiftend, meint die Bezeichnung doch sowohl den Vergnügungspark als auch die überraschende Wildnis rund herum, die in Auen und Wäldchen endet. An diesem Tag ist viel los im Prater, alle Buden haben geöffnet und erwarten vom amüsierungsmütigen Publikum zahlungskräftige Beteiligung. Der Prater ist alt. Das Wahrzeichen, das Riesenrad, wurde 1896/97 gebaut (und im Weltkrieg ordentlich verwüstet), das zweite, kleinere Blumenriesenrad dann 1933, die Liliputbahn in den 1920ern ins Leben gerufen, eine Miniaturbahn, pardon, Schmalspureisenbahn mit einem Rundkurs von rund 4 Kilometern, die bestens in den altertümlichen, seltsamen Prater passt. Das Schweizerhaus, das in abgewandelter Form schon 1766 im Prater bestanden haben soll, wurde ebenfalls in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts von Karl Kolarik übernommen und zu einer festen Institution für alle, die dem schweren Essen und schaumgekrönten Bier frönen wollen.

Geisterbahn

Die Grundsteine sind also alt und die Geschichte umfasst Weltausstellung und frühes Kino und heute, was ist es heute? Ein zusammengewürfeltes und deshalb reizendes Ensemble aus Geisterbahnen, die in den Vierzigern erbaut wurden und Jahr für Jahr mit einer neuen Schicht Lack ausgebessert immer noch schick aussehen, auch wenn ihnen die Jahre anhaften, daneben neuere Gerätschaften, die ihre Mitreisenden durch die Gegend schleudern, Stroboskopgeblitze und Nebelmaschine, dazu ein Misch von Techno- und Housemusik aus den ersten Jahren des neuen Jahrtausends. Gezahlt wird für jede Attraktion einzeln, ein Vergnügen, das sich an lustigen Tagen zu einer ordentlichen Summe läppern kann.

Blumenriesenrad

Verloren zwischen den ganzen feinen und lauten Buden steht noch immer das alte Dampfringelspiel, das „Karousel“, das schon mehrere Generationen Runde um Runde befördert hat, genau so, wie es die braven Ponys tun, die Jahr um Jahr den Lärm von Ringsum und das Rauf und Runter kleiner Kinder mit stoischer Ruhe ertragen.

ponykarusell

Einigen Generationen wie dem Donau Jump blättert das Alter vom Gesicht, die Leuchtbuchstaben zeigen nur noch Donau Jmp an, die Hochschaubahn gleich nebenan erfreut zwar immer noch mutige Besucher, hat aber bestimmt auch schon bessere Zeiten gesehen. Dabei wurde 2008 im Zuge der Fußball Europameisterschaft viel Geld in die Gestaltung des Areals gepumpt, in den Eingangsbereich und in Wege.

Freundlicher sieht er jetzt bestimmt aus, der alte, an manchen Ecken grantige und müde Prater, aber sein Gesicht schimmert schon wieder durch. Die Wolken machen drängender auf sich aufmerksam und schicken Wind, der zwischen den Attraktionen, dem Autodrom mit seiner wirbelverschiebenden Mission und dem Tagada mit den immer gleichen Mädchen und Burschen davor.

Als die ersten Tropfen fallen, ziehen sich die Besucher zurück in die Spielhöhlen, oder, wenn sie noch nicht alt genug dafür sind, in die Gastgärten der Restaurants, unter die breitgefächerten Kastanienbäume und essen Langos oder Zuckerwatte, je nach Alter, lauernd, ob es nun ein Gewitter gebe, oder ob die paar Tröpfchen alles wären, was die Wolken zu bieten haben. Und der Himmel lässt sich nicht lumpen, entlädt was er hat hinunter auf die Vergnügungsgesellschaft, auf die wettergewohnten Geräte, das Wasser sammelt sich in den Gruben der Sitze, spült Langospapier vom Gehsteig zwischen die Bäume, prasselt auf die Hochschaubahnen und das Dach des Ponykarusells. Die Pferdchen haben kurz Ruhe und halten ihre schweren Köpfe über das Geländer, die Nasen in den kühlen Wind gesteckt.

Life Ball 2012

Das Leben wird gefeiert in Wien am 19. Mai, dem verliebtesten aller Monate. Zum 20. Mal dieses Jahr, ein stolzes Jubiläum. Der Life Ball ist die größte Veranstaltung Europas zugunster HIV-Betroffener und an Aids erkrankter Menschen. Gery Keszler ist verwebt mit der Idee des Life Ball, der ehemalige Feinmechaniker und aktuelle Abenteurer gründet 1992 mit Dr. Petrosiam den Verein „Aids Life“, der Menschen, die unter HIV leiden, mit finanziellen Mitteln unterstützen sollte, 1993 fand der erste Life Ball statt, damals noch aus eigener Tasche finanziert. Das hat Keszler schon langen icht mehr nötig, der Life Ball ist ein Riesenevent gewordern, dem jedes Jahr Größen aus Politik und Unterhaltungsindustrie beiwohnen, diesmal waren es u.a.  Bill Clinton, Naomi Campell,  Milla Jovovich, Antonio Banderas und Sean Penn, die sich für den Kampf gegen Aids groß machten. Bunt und laut präsentiert sich die alljährliche Glitzernacht und kaum überrascht es, dass es den Homophoben anders wird bei dem Spektakel. 2007 konnte die FPÖ (oder zumindest die ihr nahe stehende Zeitung „Zur Zeit“) nicht mehr an sich halten und bellte gegen Keszler, diese „Berufsschwuchtel“ und den allgemeinen Zirkus – eine von vielen Verfehlungen der Scheuklappenträger, die keines weiteren Zitats würdig ist.

Dass die Standardtickets zwischen 75 und 150 Euro kosten hält die Balllustigen nicht davon ab, zu kommen und jedes Jahr werden es mehr. Die schönste Idee am Life Ball ist der Reiz der Maske, der durch wechselne Motti angekurbelt wird und von den BesucherInnen kreative Schaffenskraft entlockt. Dieses Jahr war Feuer das Leitmotiv, das den Styl der Gäste prägen sollte und so dominierten Rot-, Orange- und Gelbtöne, aufgemalte Flammen züngelten über Schultern und Nacken, knallige Federn im Haar kokettierten mit den dunklen Flügeln Mancher, die nackte Haut golden und nur die aufreizenste Stelle verdeckt ging es in die Nacht.

Vor dem Rathaus dann das Gedränge der Schaulustigen, welche die Gäste zu Stars machen. Ist deren Outfit aufregend genug, dauert es einige Zeit, bis sie die Anreise in die abgesperrten Bereiche und weiter auf den roten Teppich schaffen, der alle empfängt, sie werden vom Fußvolk aufgehalten, das Fotos will und über die Größe der Phantasiegestalten in ihren Highheels staunt.

Mit der Dunkelheit beginnt die Show, ein überwältigendes Fest, das kurz den eigentlich traurigen Anlass des Balls vergessen lässt. Alleine in Österreich sind 1.700 Menschen HIV infiziert, 2011 waren 525 Neuinfektionen. Seit 1983 starben rund 1.950 Menschen an den Folgen der Infektion. Und obwohl die Zahl der Neuinfektionen seit 2001 zurückgeht sind weltweit um die 34 Millionen Menschen infiziert, eine unglaubliche Zahl. Es ist ungefähr so, als wären alle EinwohnerInnen Österreichs, der Schweiz, Ungarns, Sloweniens und der Slowakei betroffen.

Der Life Ball feiert trotzdem das Leben, ein aufregendes Fest und Großevent, auf das Wien getrost stolz sein kann.

Vienna City Marathon 2012

Die Nacht zum 15 April ist kalt und feucht, und um sechs, sieben, als diejenigen aus den Federn kriechen, die laufen wollen, hat es draußen fünf grad und der morgendliche Wind weht einem Feuchtigkeit ins Gesicht.

Start ist auf der Wagramerstraße, knapp vor der Reichsbrücke, um neun. Die Garberobe LKW warten schon geduldig auf die Läufer, die es noch nicht eilig haben in der Früh. Sie sammeln sich in Grüppchen und schütteln ihre Beine, wie Rennpferde kurz vor dem Start. Die Garderobesäcke werden dick angefüllt an diesem Tag, Jacken, Schuhe, Handys, alles was nicht mit auf die Strecke kommt, aber nachher sofort zur Hand sein soll. Gegen halb neun ist der Rasenstreifen zwischen der Straße zum Lagerplatz geworden, nach vorne hin schiebt sich die Masse zusammen, ein buntes Bild. Um neun der Startschuss, die Elite voraus, das Getrappel über die Reichsbrücke beginnt. Es dauert noch einige Zeit, bis auch die letzten endlich über die Donau laufen können.

Highlight des Rennens ist die Verfolgung der gesundheitlich angeschlagenen Paula Radcliffs durch Haile Gebrselassie, beide auf der Halbmarathonstrecke unterwegs und in einem Tempo, das Normalsterbliche vielleicht noch am Rad durchhalten würden. Er überholt sie auf Kilometer 16, obwohl er später startete und kommt nach 60 Minuten und 52 Sekunden ins Ziel, Radcliffe trifft knappe elf Minuten nach ihm ein.

Von dem Trubel bekommen die meisten Läufer und Läuferinnen nichts mit. Sie sind mit der Strecke beschäftigt, die sich in einigen Schlaufen durch Wien windet, mit der Verpflegung und dem Publikum am Streckenrand, mit den Polizei und ORF Hubschraubern und den anderen Laufenden.

Der sechsundzwanzigjährig Henry Sugut ist der erste Mann, der die Ziellinie der Marathonstrecke durchläuft und einen neuen Streckenrekord aufstellt. Knapp unter 2 Stunden und sieben Minuten, 42 Kilometer und im Ziel gehen seine Beine weiter, als ihm zugejubelt wird und eine Traube an Menschen um ihn ist, um zu gratulieren. Die erste Frau im Ziel, wie im Vorjahr, Fate Tola, vierundzwanzig, mit 2 Stunden 26. Während die Sieger und Siegerinnen schon im Topathletenzelt umsorgt werden, schiebt sich die Masse draußen noch am Heldentor vorbei. Die meisten haben die halbe Strecke noch vor sich.

Die, die es geschafft haben, bemerken, dass ihr Beine kein Teil des Restkörpers mehr sind: sie blockieren in der Bewegung und zittern, und staksig geht es in die Duschen, zu den LKWs mit den Garderobesäcken, die eine plötzliche Last werden. Man sitzt am Randstein und massiert die Waden oder starrt ins Leere, aber man sitzt nicht lange, weil der Wind unwirtlich ist, als hätte er sich vorgenommen, die Menschen schnell wieder von seiner Spielwiese zu vertreiben.

Nach sechs Stunden ist der Zauber vorbei, die allerletzten kommen eingetröpfelt, in einem mechanischen Schlurfschritt, der, der vor dem Kehrwagen läuft und noch irgendwie ins Ziel geschoben wird, wird vom Rennleiter mit Blumen in Empfang genommen. Auch ein Sieger.

Die Regenponchos, die gegen die Kälte ausgeteilt wurden, wehen über den Platz zwischen den Museen und wieder blickt Maria Theresia hochmütig herunter auf dieses seltsame Treiben. Was sie wohl davon gehalten hätte? Nicht viel, lässt sich ihr unterstellen.

Ein paar sitzen noch zwischen den LKWs, die inzwischen leer sind, kauen auf ihren Bananen und denken an ihre Betten. Es wird ein paar Tage dauern, bis die Schmerzen vorbei sind und dann wird auch der bittere Vorsatz, im Leben nie wieder einen Marathon zu laufen, vergessen. Die Anmeldung für 2013 ist schon offen.