Reprise my longing, dear old land.

Scottish

When to Scotland, I came to admire the very beauty of tartan against a grey Scottish sky.

Smell my dried seaweed, the water was calling. Smell my salty breath, the wind chimed in.

I wandered off to see the sheep. Blackface sang a song about obstinacy and dandelion.

Then the land ended and sky became sea.

I hid away from the sun. The leaves scraped like abrasive tongues over my skin.

In the end, everything pointed me to the water. Away, away we go.

 

Just breathe on inconspicuously

Guess my thoughts, I say,
to myself (because there is no one else I could ask)
and I answer:

It would feel a little strange to be a Rumanian stray dog
in Constanța

but I could do worse,
chasing cars
chasing fleas
chasing my own shadow as long as there is a sun in the sky.

 

Oslo// Her kommer fargene

Rosen und Tulpen

Meine teure Aussicht ist sich nicht sicher. Soll sie sich weiterhin durchwölken, oder doch vielleicht bis zum Holmenkollen aufmachen? Ich lasse sie alleine und gehe hinunter zu Brunost und Knekkebrød. Soll sie sich derweil überlegen, was sie denn will.

Es hat aufgehört zu regnen, was mein Wandern erheblich bequemer macht. Den Schirm habe ich im Zimmer gelassen, dahinter steht so etwas wie positivistischer Trotz. Heute wird ein guter Tag.

Beim Frühstück habe ich mir überlegt, eine Harry-Hole-Runde zu machen. Wer Harry Hole nicht kennt, kennt auch Jo Nesbø nicht und wird sich entsprechend wenig darum scheren, aber nur soviel: mein schönes Vorhaben hat sich verlaufen. Ich habe mich bei meinem schönen Vorhaben verlaufen. Harry Hole ist verloren gegangen.

Das Fyrlyset in der Urtegata 16A finde ich noch, aber davor haben sich Bedürftige versammelt, die auf eine warme Suppe der Heilsarmee hoffen, darum lasse ich Fotos bleiben, stehe nur kurz in der mir nicht ganz geheuren Gasse, bevor ich zum botanischen Garten spaziere.

Botanisk hage Oslo

Im Februar und bei Tauwetter einen Blumengarten zu besuchen, ist nur bedingt sinnvoll und ich überlege mir zweimal, ob ich Bilder von den wintergefrorenen und wieder weich gewordenen Pflanzen machen soll, die über die Ränder ihrer Beete hängen. Im Glashaus ist noch mehr Leben, da drückt sich der Lavendel gegen beschlagene Scheiben.

Botanisk hage oslo

Mein Weg führt mich wieder, wie magisch angezogen, den Akerselva hinauf, heute zum ersten Mal bei Tageslicht. Das Eis der letzten Tage ist fast gänzlich weggeschwemmt und das Wasser dunkel.

Sagveien

In der Umgebung der schönen Ziegelfabriksbauten ist das Arbeitermuseum. Ich lege die Hand auf den Türknauf, aber es ist stengt, auch wenn die Öffnungszeiten Museumsspaß verkünden. Ich lungere noch kurz vor dem Museum herum, dann mache ich mich auf in die Sofies gate, wo Harry Hole wohnt.

Oslo Stilleben Straße

Nur, dass ich nicht hinfinde. Wie ein Schiff mit Schlagseite zieht es mich zum Schloss und zum Meer hinunter, der Kapitän ist miserabel im Kartenlesen, IPhone hin oder her. Am Weg mache ich dafür Fotos von allem Möglichen, komme an der Mathalle vorbei und kehre ein.

Im Gegensatz zu den meisten Märkten, die ich bisher gesehen habe, ist die Osloer Mathallen ein aufgeräumtes Architekturjuwel, das Luxus atmet. Am Eingang riecht es nach einer scharfen Gewürzmischung und nur dezent nach gebratenem Fisch. Hier geht nicht der Pöbel einkaufen, der steigt im Kiwi ab, hier kostet das Rugbrøt 40 Kronen und Tørrfisk von den Lofoten 500.

Poldi und Mucki Brennerieveien Streetart

Anstatt zurück zu Harry Hole in die Sofies Gate zu spazieren, bleibe ich im Brennerieveien hängen, wo die spannendste Straßenkunst an die Wände gemalt ist, dann setzte ich ein letztes Mal an – und schlage wieder in die alte Kerbe hinunter zum Meer. Harry, beklager, jeg kommer ikke i dag.

Frogner Oslo Villa

Nachdem das Arbeitermuseum heute nicht gearbeitet hat, ich aber trotzdem in Museumslaune bin, spaziere ich weiter hinauf zum Vigelandpark. Hinter dem Schloss beginnt das Edelpflaster. Hier sind die Leute reich. So reich, dass sie sich zu ihren jährlich renovierten Fassaden auch noch die Sonne kaufen. Die Gyldenløves gate hinauf zum Park nehme ich mit offener Jacke und geblendeten Augen. Das Licht fällt aus dunkelblauen Wolken.

vigeland park

Beim Park stehen zwischen den wunderbaren Figuren Touristen mit Selfiestangen. Auf jedem Selfie, den ich unabsichtlich quere, kann man sehen, dass ich abfällig schnaufe. Ein chinesisches Paar fällt beim Versuch, den richtigen Hintergrund für ihr Stangenselbstportrait zu finden, beinahe die Vigelandstiegen hinunter. Die Nacktheit der Figuren ist so unschuldig, dass es scheinbar auch die prüdesten Touristen nicht davon abhält, ihre Gesichter vor steinernen Geschlechtsorganen abzubilden.

Als ich endlich ins Stadtmuseum komme, das auch im Park liegt, bin ich von meinem fünfstündigen Gewandere müde und hungrig. Ich sehe mir lustlos den Teil der Ausstellung an, für den ich nicht extra die Garderobe abgeben muss, dann überlege ich mir einen Plan für den Nachmittag.

Karl Johan Oslo

Natürlich zieht es mich zurück in die Deichmanske Bibliothek, diesmal das Hauptquartier. Es sind bedeutend mehr Leute unterwegs heute, scheinbar sind sie von den späten Sonnenstrahlen herausgelockt worden.

Der Himmel treibt derweil sein Farbenspiel und ich bleibe gerührt stehen und mache Bilder. Die Farben sind neu und cremig und sie explodieren in mir.

Youngs torget oslo

In den Bibliothek denke ich an die Szene aus „The Beauty and the Beast“ wo Belle zum ersten Mal die Bücher zu sehen bekommt. Die Wände sind hoch und gefüllt, ich bin so angetan, dass ich dreimal mit meinem Laptop umziehe, weil ich nicht weiß, wo es mir am besten gefällt.

Als die Bibliothek schließt, ist der Himmel schon dunkel, aber sein Brennen ist mir geblieben. Es sticht ins Hirn und in den Bauch und breitet sich in der Lunge aus. Könnte ich die Stadt einatmen und mitnehmen, würde ich tief Luft holen dafür.

090216

 

 

Jūrmala//wo man bleiben könnte

Jurmala

In Jūrmala fließt die Lielupe ins Meer und wieder sind die Namen so großartig Tolkien oder Funke oder Hohlbein, dass man eigentlich von der tatsächlichen Gegend enttäuscht sein müsste, ist man dann wirklich dort. Aber nicht hier. Nicht in Jūrmala, wo der Himmel und das Meer eins sind und der Strand ein unendliches, hellbeiges Laufband am Pinienwald entlang ist.

Jūrmala

Hinter dem Strand wohnen reiche Letten und reiche Russen und alle ist sauber und poliert, dazu riecht es nach Salzwasser und nach weißen Kumuluswolken und nach BMWs in der Einfahrt der Holzvillen.

Jūrmala

Entlang der Promenade im Stadtkern finden sich die Abziehbilder jedes Städtchens: Die Touristen in Cafés, die Hundespaziergänger und die Nachdenklichen.

Jūrmala

Am Strand wird das Wasser langsam mehr, es kommt von draußen zurück, es holt sich die Rillen im Sand und die Fußspuren und alles, was in den Stunden des Tages in den Sand gezeichnet wurde.

Jūrmala beach

Jūrmala

 

Stockholm Tag 1// Stör ej!

Stockholm

Stockholm hat sich zurück gezogen und liegt mit halb geschlossenen Augen in sich zusammengerollt. Von seiner Nase tropft der Schneeregen, dabei ist heute Frühlingsbeginn. Ich habe schon gewusst, was mich erwartet, aber dann schlage ich mir doch schnell die Kapuze über den Kopf, als ich an der Centralstation aussteige.

stockholm

Am Weg in die Altstadt fällt mir auf, dass das Volk ein anderes Kälteempfinden hat. Wer braucht schon Handschuhe, oder eine Jacke über das Sakko? Nur die Südlandstouristen, offensichtlich. Nordländern ist nicht kalt, höchstens frisch, das hat zumindest einmal jemand gesagt.

kungelige slottet stockholm wache

Um das Kungliga Slottet fegt Wind und ich bekomme weiche Schneeflocken ins Gesicht, wo sie brennen. Die Wache wippt auf den Sohlen vor dem Schloss, auch bei ihr kennt der Wind keinen Respekt.

stockholm

Am Kai, hinter den Schiffen, weit hinten, ist ein Haushügel, aber dorthin spaziere ich nicht, ich möchte lieber die Markthalle sehen. Die liegt im Stadtteil Östermalm und der ist so wunderbar rechtwinkelig, dass sogar ich mir schwer tue, mich zu verlaufen.

östermalm

Die Östermalms Saluhall ist ein Backsteintempel aus 1888 und als ich hineingehe begrüßt mich zwar zaghaft der Käse, aber sonst ist die Buntheit und die Vielfalt alleine für die Augen. Ich denke kurz an die Straßenmärkte in Saigon und deren alles erschlagende Haptik, da schmeckte man die Fische und das süßliche, aufgeschnittene Fleisch im Vorbeigehen, ob man wollte oder nicht, und hier, nichts. Ich kann die überdimensionierten Meerestiere betrachten, die hier auf Eis liegen, ohne dass mich der Geruch verabschiedet und nachrechnen, wie viel 100 Gramm Seeteufel kosten. Zwischen den Verkaufsinseln sitzen Menschen auf hochbeinigen Sesseln und essen aus Designertellern.

djurgarden

Ich spaziere weiter, hinüber zum Djurgården, vorbei an den Museen vor denen einige Touristen ihre Regenschirme falten, und planierten Gehweg am Wasser entlang. Es ist so ruhig, dass mich das Rascheln meiner Haare unter der Kapuze fast stört und die Luft riecht nach den Bergen. Auf einmal liegen weiße Federn über den Weg gestreut und ich folge ihnen einige Minuten das Ufer entlang.

djurgarden

Ich denke an einen Schwan, später finde ich in der felsigen Wand zu meiner Rechten eine große Schwungfeder im Moos.

Der Weg hat sich verändert und knirscht nicht mehr unter meinen Schritten, er ist weich und federnd geworden und ich vergesse, dass ich am Sirishovsvägen bin und denke, ich sei alleine auf der Welt.

djurgarden

Ich drehe eine großzügige Runde und komme mit der Dämmerung zurück zum Djurgårdsvägen. Der Vergnügungspark Gröne Lund steht verweist, Skansen hat die Tore geschlossen und schweigt, nur in das ABBA Museum haben sich dann doch einige verirrt, das sehe ich durch die Glaswände.

stockholm

Über die Brücke komme ich zurück nach Östermalm wo inzwischen die Lichter angegangen sind. Mir ist so kalt, dass ich keine Lust mehr habe, noch länger dem Wind zu trotzen. In Norrmalm schüttle ich die Wassertropfen auf den Läufer der Nordiska Kompaniet und sehe mir drinnen teure Uhren und Kinderkleidung an, dann beschließe ich, es gut sein zu lassen. Stockholm seufzt einmal leise und drückt das Kinn gegen die Brust. Morgen, verspricht es mir, ist es wieder ganz munter.

stockholm

Tag 9 Kathmandu/ Vertrauensgrundsatz und die höchste Heiligkeit

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Der Tag ist kühler als die vergangenen Tage und das tut sehr gut. Ich studiere noch ordentlich die Karten und mache mich dann zu Fuß zum Boudhnath auf, das im Westen liegt. Der Weg wird mit ungefähr 6,5 Kilometer in eine Richtung berechnet, aber ich nehme wieder einen Umweg, um an den breiteren Straßen zu gehen und mich nicht in dem Gassenlabyrinth zu verirren. Als ich aufbreche, ist verhältnismäßig wenig los, trotzdem steht über einer der breiten Sandstraßen der Staub als helle Wolke.

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Ich muss einige Male die Straßen queren und dafür gibt es bestimmte Regeln.

Die erste muss wohl lauten: gehe nie alleine! Warte auf ein paar andere Mutige und hänge dich an deren Fersen.

Die zweite: Je breiter die Straße, desto größer die Chance überfahren zu werden. Man geht nicht einfach so hinüber, nur weil dort ein nettes Geschäft lockt. Man bleibt auf seiner Seite, außer es hat einen ordentlichen Grund, zu wechseln.

Die dritte: Vertraue keinen Zebrastreifen! Es gibt sie, aber sie sind absolut unnötig, da kein Mensch für dich halten wird.

Die vierte: Schauen! Nach rechts, von dort kommen sie schneller!

Die fünfte: Warte nicht darauf, dass jemand vielleicht langsamer wird, oder stehen bleibt. Geh, wenn die Lücke groß genug ist und wedle mit der Hand, als Zeichen, dass du nicht überfahren werden möchtest. Sie werden schon ausweichen.

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Mit diesem antrainierten Wissen gelange ich nach fast zwei Stunden Fußweg zu der Stupa, die auf einmal zwischen zwei Häuserblocks auftaucht. Anders als das Swahambunath, das erst mühsam erkämpft werden muss mit seinen Stufenaufgängen, und das man schon aus der Weite am Hügel thronen sieht, duckt sich diese Stupa mitten in ein lebendiges Wohnviertel. Und doch ist sie einer der heiligsten Orte für Buddhisten und Hinduisten weltweit. Gegründet wurde sie im fünften Jahrhundert nach Christus und es gibt verschiedene Legen dazu.

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Einig ist sich die Geschichte aber, dass eine Frau die Stupa bauen ließ, und dass eine Menge Göttliches im Spiel war. Aus ihrer goldenen Mitte blicken die Buddhaaugen auf die Herankommenden. Tibetische Flüchtlinge suchen hier einen Ort des Friedens, um die Stupa haben sich viele tibetische Klöster angesiedelt. Als ich komme, tröpfelt gerade der Monsun herab und die grauen Wolken sitzen direkt über den ernsten Augen des Heiligtums. Ich umrunde das Bauwerk im Uhrzeigersinn, so wie es auch die Buddhisten und Hinduisten machen, einmal unten, einmal einen Stock höher. Aus den Lautsprechern der anliegenden Geschäften dringt das Gebetslied über den Platz, Ohm mani padme um, ein sanfter Rhythmus. Aus der Nähe wirkt die Stupa noch beeindruckender. Die bunten Fähnchen sind von allen Seiten zur Kuppel hin aufgezogen und im kühlen Wind bewegen sie sich langsam, als wären sie lebendige Glieder einer überdimensionalen Krake. Auch das rote Tuch unter den Augen rollt im Wind und winkt den Betenden. Ich finde auf den Stufen eines geschlossenen Geschäfts Platz und nehme mir über eine Stunde Zeit, nur um zu sitzen und meinen Gedanken nachzutasten.

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Als ich die Stupa durch die Häuserschlucht verlasse, durch die ich gekommen bin, schlägt mit einem Mal der Lärm zu. Ich hatte ihn drinnen im heiligen Bauch vergessen, draußen prescht er sofort wieder an meine Ohren. Ich habe es nicht eilig nach Hause zu kommen und habe Zeit, die Umgebung aufzunehmen, auch wenn sie an mir vorbeirennt und dabei hupt und dröhnt.

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Auf halber Strecke komme ich an zwei Kühen vorbei, denen der Sinn nach Ausruhen steht. Dazu haben sie sich die Mitte einer breiten Straße ausgesucht, die im nachmittäglichen Verkehr von Mopeds, Autos, Minibussen, Lastern, Radfahrern und Motorrädern geflutet ist. Ihnen scheint der Wirbel gar nicht bewusst zu sein, sie haben sich ihren Platz erwählt und haben nicht vor, ihn so schnell wieder aufzugeben. Wie könnten sie ihre Heiligkeit schöner verkörpern.

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Am Abend ist in der Lobby nichts los, die chinesischen Gäste sind wieder abgereist und von draußen plätschert der Regen an die Fenster. Auf meine Frage, wo die anderen wären, meint Dipendra: It is rainig. They are hiding somewhere. Wir schauen uns auf Manoranjan TV einen indischen Film mit Shah Rukh Khan an und ich bekomme Dipendras Lieblingsschauspieler aufgezählt. An der Spitze steht Nikhil Upreti, natürlich, schließlich ist er Nepali.

Tag 7 Kathmandu – Nargarkot/ Am Himmel ganz oben

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Der Tag beginnt um 3:30. Als ich in die Rezeption herunterkomme, wecke ich Dipendra Mukhiya, den Rezeptionisten, der dort auf einer Bank schläft, die vierzig Zentimeter kürzer ist als er. Dipendra hat für wenige Sekunden die Aufmerksamkeit eines Wachhundes, kuschelt sich aber wieder zurück in seine unbequeme Situation sobald er sieht, dass keine Gefahr droht. Mein Guide Kapil ist schon da, er nutzt noch das WI-FI und tippt in das Asus Notebook, das er später auf den Berg mitnehmen wird. Er klopft den Fahrer aus seinem Zimmer, Dipendra wacht wieder auf, wünscht mir have a good flight, und wir starten kurz vor 3:45 hinaus in die Nacht. Die Straßen offenbaren im Scheinwerferlicht ihre Buckeln, dazwischen liegen wie lebendige Verkehrsinseln die Hunde, die genug gelärmt haben in den Stunden zuvor (sobald die Nacht da ist, sind die Hunde aktiv und kommentieren lautstark die Angriffsstrategien verfeindeter Rudel) Straßenbeleuchtung gibt es nicht, nur die Werbetafeln an manchen Häuserfronten leuchten den Weg. Wir fahren fast eine Stunde hinaus aus dem Tal nach Nagarkot und treffen am Weg tatsächliche Jogger, die durch das dämmrige Dunkel unterwegs sind. Am Ziel steigen wir hinauf auf die oberste Terrasse des View Point Hotels.

Die Nacht ist blaugefächert und die Wolken sind eisgraue Berge, die über die Wälder hereinrollen. Vögel singen die Morgenlieder, sonst sind noch die chinesischen Touristen zu hören, die auf einem anderen Balkon ihre Stative für das perfekte Sonnenaufgangsfoto stationieren. Nur dass die Wolken Spielverderber sind und die Sonne beschließt, hinter ihnen noch eine Runde zu schlafen. Die Schattierungen werden kräftiger und heller, gegen halb sechs hat sich das klare Tageslicht durch das schummrige Traumland gekämpft und Kapil und ich beginnen den Abstieg. Es ist angenehm kühl und der Morgenwind schmeichelt.

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Wir wandern die Bergstraße hinunter und ich erzähle ihm, dass die Außenamtsseite Österreichs vor „versplitterten Maoistengruppen“ warnt, die in den Bergen, Zitat, ihr Unwesen treiben. Kapil denkt, dass es jetzt keine Maoisten mehr in den Bergen gibt, dann beginnt er vom Bürgerkrieg zu erzählen. Die nepalesische Monarchie war eine Bremse für Weiterentwicklung und Gleichstellung im Volk und als in 1990 das Mehrparteinsystem wieder eingeführt wurde, gab es so viele Parteien mit so vielen unterschiedlichen Forderungen, dass niemand den Durchblick hatte, meint Kapil, der König blieb trotzdem und die Regierung war korrupt. Dann, er muss erst rechnen, weil sein Kalender ein anderer ist als der Westliche, in 2001, wurde im Königspalast (der heute ein Museum ist) ein Ball gegeben. Alle wichtigen Gäste waren dort und die gesamte königliche Familie. Der Kronprinz Dipendra hatte getrunken und Haschisch geraucht, angeblich gab es Streit. Um Mitternacht eröffnete er das Feuer auf seine Familie und tötete insgesamt acht Menschen, also König und Königin, seinen Bruder, vier Prinzessinnen und einen Prinzessinengemahl. Anschließend habe er sich selbst erschossen, sei aber nicht sofort gestorben. Im Spital wurde er zum König erklärt, schließlich war er Kronprinz, aber nur drei Tage später starb er und sein Onkel Gyanendra wurde zum neuen König. Kapil erzählt zuerst die offizielle Fassung, dann meint er, dass das Volk große Zweifel habe, denn der Kronprinz war Rechtshänder gewesen und an einem Schuss durch die rechte Schultergegend gestorben, außerdem war auf den Überwachungsvideos, die nur unter der Hand kursierten, zwar ein Amokläufer zu sehen, der aber trug eine Maske. Außerdem hätte Gyanendra nicht auf den Thron steige können, wäre Kronprinz Dipendra nach dem Attentat nicht König geworden.

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Kapil vermutet, was die meisten glauben, dass Dipendra an Ort und Stelle verstarb und tot zum König erklärt wurde, damit die Monarchie mit dem Tod des alten Königs Birendra nicht verlöschen musste. Kapil erzählt weiter, dass Gyanendra sofort nach seiner Krönung alle vorher mühsam erkämpften Forderungen nichtig gemacht hatte und dass das Volk in den Generalstreik trat. Neunzehn Tage lag rührte sich nichts in Kathmandu, die Lebensmittel gingen aus und Protestierende wurden getötet. Er selbst bekam ein Gummigeschoss in die rechte Brust und hat jetzt noch Narben von der Wunde. Kapil erzählt, dass der König erst spät auf die Forderungen des Volkes einging und dass die Maoisten damals Standpunkte vertreten hatten, die gut waren, aber dass sie später in die Berge geflüchtet sind und sich ihren Lebensunterhalt von Touristen erstritten hätten, was für den Tourismus wiederrum eine Katastrophe bedeutete. Im November stehen die nächsten Wahlen an, sagt Kapil, aber er weiß nicht, wen er wählen soll, da zu viele kleine Parteien an den Start gehen würden. Zuversichtlich ist er nicht, aber die Hoffnung will er noch nicht aufgeben.

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Wir kommen durch Dörfer, deren Häuschen direkt an den Weg gebaut sind. Ziegen stehen auf den Terrassen und Kücken folgen ihren dicken Mamas. Es wird an den freien Wasserleitungen geduscht, Nepali-Style, wie Kapil grinsend meint, auch im Winter. Die Natur ringsum ist überquellend, es wird Mais angebaut oder in den tieferen Lagen Reis, dazwischen sind die scheinbar ewigen Dschungelhänge, die ganze Bergseiten in ihrem Grün bedecken. Es geht bergauf und Kapil, der die Statur eines äthiopischen Langstreckenläufers hat, gazellt voraus, ich, darum bemüht nicht wie eine Dampflokomotive zu klingen, folge ihm eifrig. Als es wieder flacher wird schließe ich rotgefleckt zu ihm auf und stelle beruhigt fest, dass er auch den Schweiß auf der Stirne stehen hat.

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Nach etwa drei durchwanderten Stunden gelangen wir schließlich zum Tempel Changunarayan. Es ist eine Anlage aus 400 nach Christus und der Holzbau ist faszinierend anders als die strahlende Stupa von Swayhambunath. Hier fehlen die Chinesischen Touristen und die Affen, und die Ruhe ist köstlich. Wir umrunden den Tempel und Kapil erzählt mir einiges zu den Statuen, dann malt er sich und mir die rote Opferfarbe eines Gottesbildes auf die Stirne. Ich bin so stolz auf den roten Fleck, wie man stolz sein kann auf die Wanderung, diese ganze Wanderung von Wien hierher.

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Der Fahrer liegt in dem alten Tata und hört Radio, Kapil raucht noch eine letzte Zigarette, bevor wir einsteigen, dann fahren wir nach Hause. Aus dem Nichts hat sich der brüllende Verkehr auf den Straßen manifestiert. Kapil dreht sich am Sitz nach hinten und fragt, ob ich müde sei, keine vier Minuten sehe ich, wie sein Kopf zur Seite sinkt. Auch die quälendsten Mopedhupen wecken ihn nicht und er streckt sich erst wieder aus dem weichen Autositz, als wir zurück im Thamel sind.

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Am Nachmittag mache ich noch einen Spaziergang hinaus, ich wandere zum Hanuman Dhoka, einem Komplex von Palästen, Tempel und Museen, die als Weltkulturerbe eingestuft wurden. Wahrscheinlich liegt es an meiner Müdigkeit, dass sich ein Unwillen entwickelt, 750 Rupien Eintritt zu berappen, und dieser Unwillen wird verstärkt, als ich knapp vor dem offenen Durchgang von einem Wachmann aus der Menge gepickt werde, wie die Maus aus dem Getreidefeld, um mein Ticket vorzuweisen. Dass alle anderen rein und rausspazieren können, ohne kontrolliert zu werden, ob sie denn etwas gezahlt hätten steigert meine Laune, den Preis, der in etwa drei üppigen Abendessen entspricht, zu lohnen, nicht direkt und ich gebe mich damit zufrieden, ein Foto aus der Ferne zu machen und im leichten Nieselregen den Weg nach Hause durch das aufgeweichte Labyrinth des Indra Chowks zu nehmen.

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Tag 5 Kathmandu//Auf einen süßen Tee bei Affen und Ratten.

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Heute ist Wandertag. Nach dem Frühstück (ich nehme nur schwarzen Tee. Ohne Zucker. Im Blick des Kellners steht Blasphemie) mache ich mich auf den Weg zum Swayambhunat, das liegt westlich vom Thamel und es schaut auf der Karte nicht allzu weit aus. Swayambhu bedeutet aus sich selbst entstanden und die Geschichte dahinter ist, dass einst das Kathmandutal von Wasser gefüllt war und eine Lotusblüte auf die Oberfläche trat. Sie wurde als Zeichen Gottes verehrt, bis später das Tal durch Bodhissattva Manjushri entleert und die Lotusblüte auf den Hügel gepflanzt wurde, wo heute der Tempelkomplex steht. Am Weg hin empfängt mich das vormittägliche Durcheinander, das sich kaum vom Nachmittäglichen unterscheidet. Die Straßenhändler verkaufen ihre Mangos und Ringlotten, die Werkstätten, Schneidereien, Kochstuben an den Straßenrändern haben schon offen, in ihnen sitzen die Fleißigen auf den Böden und arbeiten vor sich hin.

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Wie immer ist es eine Herausforderung, irgendwo hinzufinden, weil Straßennamen zwar existieren, aber in Nepali angeschrieben sind (wenn überhaupt) und weil die Straßen eng und befüllt sind. Man orientiert sich grob an den Zügen der Karte und im Detail an den Geschäften, Heiligenstätten oder Hausecken. Ich komme an die Brücke, die über den Bishnumati führt.

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Der Gestank vom Fluss und seinem Bett ist beklemmend, er ist ein Müllkanal, ein Schlammgott und ich sehe zu, dass ich hinüber komme. Dann geht es bergauf, die gewundene Straße nach oben, bis ich den Swayambhu in der Ferne im Wald thronen sehe, sein goldenes Dach blinkt freundlich. Es dauert seine Zeit bis ich seinen Fuß erreiche, 1400 Meter Höhenlage und das stetige Bergauf plus drückend schwüler Luft machen den Hinweg zu einem feinen Cardiotraining. Ich komme an der Ostseite des Tempels an und die kleinen grauen Ameisenstriche auf meiner Karte entpuppen sich als Stufen. Ich stärke mich mit einem Schluck Wasser und mache mich auf den Weg aufwärts. Nach keinen zehn Schritten hält mich ein junger Mann auf, der sich als Manoj Gomal vorstellt und der nach den üblichen Fragen anbietet, mit mir nach oben zu wandern und mir alles mögliche zu erzählen. Als Kostprobe gibt es ein Ratespiel, das mir sein Wissen präsentiert: Do you know how old Swayambhu Tempel is? 2500 years! Do you know how many steps lead up? 365! One for every day in a year! Die Stufenzahl kann meine Laune nicht drücken und ich versichere ihm, dass ich mit meiner Infomappe gut ausgerüstet bin und starte den Aufstieg. Er ruft mir noch nach, dass ich den Monkeys nicht in die Augen schauen soll, weil sie sonst womöglich angreifen, aber es stellt sich heraus, dass die andere Interessen haben, als sich mit den Besuchern zu streiten.

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Kurz vor dem Ziel wird man zur Kassa gebeten dann taumle ich die letzten, kniehohen Stufen hinauf in die unglaubliche Präsenz der Stupa mit ihren Buddhaaugen und dem Fähnchengeflatter. Meine Beine zittern noch, als ich eine Runde gemacht und die Gebetsmühlen gedreht habe, und sie zittern als ich mich auf den Sockel eines der Schreine setze und über das Kathmandu Tal hinabblicke.

Ein Haufen Chinesen macht Fotos und spielt Musik von ihren Handys, sie sehen verdächtig unverschwitzt aus. Von meinem Feldherrenplatz aus lese ich endlich die Mappe, dort erfahre ich auch vom Westeingang, der per Straße bequem erreicht werden kann (darüber haben die Chinesen natürlich schon vorher Bescheid gewusst).

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Der Swayambhunath ist auf der Liste der UNESO Weltkulturerbe vertreten und 2010 zum 15ten Mal in 2500 Jahren renoviert worden, wozu 20 Kilogramm reines Gold verwendet wurden, das ein hinduistisches Zentrum aus California gestiftet hat. Mein besondere Dank gilt Pratap Malla, der im 17. Jahrhundert die Idee mit den 365 Stufen hatte. Die Tempelanlage gilt sowohl den Buddhisten als auch den Hinduisten als eine der heiligsten Stätten weltweit. Von manchen wird der Ort auch Monkey-Tempel genannt, weil hier die heiligen Rhesusaffen leben, die aus dem Bhodisatta Manjushri entstanden sind. Den Affen wird rotgefärbter Reis geopfert und sie führen zwischen den Hunden und Tauben ein gemütliches Leben, wie es scheint. Ich sehe einem Äffchen zu, das im Opferwasser planscht und dann einkaufen geht, seine Mama sitzt in der Nähe und lutscht an einem Eisstiel, den ihr eine der Verkäuferinnen zugeworfen hat.

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Ich bleibe lange genug, um im Wechselspiel aus schwarzen Wolken und Sonne einen halbseitigen Sonnenbrand zu kassieren und mache mich dann auf den Abstieg. Noch nicht ganz unten holt mich Manoj „Monkeyboy“ Gomal von vorhin ein und fragt, was ich jetzt vorhabe. Ich möchte zum Naturhistorischen Museum und er begleitet mich hin. Am Weg erzählt er mir alles mögliche über den Tempel und darüber, was ich in Kathmandu noch anschauen kann, dann stehen wir vor dem roten Museum, und ich zahle den Eintritt für uns beide. Manoj war schon ein paar Mal hier und er zeigt mir seine Lieblingstiere und fragt jedes Mal, ob es die auch in Österreich gäbe. Es ist das seltsamste Museum und es erinnert mich an das alte Biologiekabinett meiner Schule. Die Exponate stehen in klapprigen Glasvitrinen und sind teilweise so schlecht erhalten, dass man sich nicht sicher sein kann, was das denn für Tiere gewesen waren. Manoj zeigt mir eine Phyton und erklärt, dass er Schlangen nicht leiden könne, dann begeistert er sich für einen Adler, der auf einem Sockel aus Styropor sitzt und die Flügel gespreizt hat. Neben der Käfersammlung und einigen eingestaubten Kräutern und Samen in Plastikdöschen bleibe ich vor einem Elefanten in einem Glas stehen. Er ist so klein wie eine Katze, ein Fötus, aber voll entwickelt, von den kleinen Ohren bis zum Rüssel. Daneben schwimmt ein vierköpfiges Zicklein in Formaldehyd. Wir verlassen das Gruselkabinett und spazieren zurück und Manoj möchte noch einen Tee mit mir trinken gehen. Er schlüpft in den engen Eingang eines Geschäftes und zwängt sich weiter nach hinten, drei Steinstufen hinunter in einen Keller von fünf Quadratmetern.

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Dort stehen zwei schmale Tischchen und  ein Ventilator wirbelt die feuchte Luft. Manoj lässt mir den besten Platz gleich neben dem Eingang und wir bestellen Tee, der direkt hinter den gestapelten Getränkekisten gekocht wird. Oben turnen dicke Ratten durch die Sprite-Flaschen. Ich frage Manoj, was er werden will, wenn er älter ist und er sagt, dass er es nicht wisse, dass er aber Arbeit finden möchte im Ausland. Er hat zwei Geschwister, die bei seinen Eltern außerhalb leben. Er selbst wohnt in der Nähe des Tempels, wo er als Guide arbeitet, aber es wird schnell klar, dass er kein fixes Einkommen hat. Wenn er die 3000 Rupien für die Miete nicht aufbringen kann, muss er sie borgen, das was über bleibt, schickt er seinen Eltern. Seine Schwester ist neun und darf die Schule besuchen, er selbst hat abgebrochen, weil er sich die Gebühren nicht leisten konnte. Sobald er mehr Geld hat, möchte er die Lizenz für das Radfahren machen, dann kann er als Rikschahfahrer arbeiten, aber die kostet 100 Dollar und er ist weit davon entfernt, so viel Geld aufbringen zu können. Trotzdem lacht Manoj, als er von seinen Geschwistern redet und von den vielen Menschen, die er schon am Tempelfuß getroffen hat und mit denen er auf dem selben Tischchen saß und Tee trank. Beim Verabschieden vor der Stube wünsche ich ihm viel Glück und er wünscht mir eine gute Reise.

Zurück geht es schneller, bergab ist es ja doch immer leichter, und in der Stadt sind die Gemüter schläfrig.

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Ich ende den Tag mit einem Spaziergang durch den Thamel und einem visuellen Auskosten der angebotenen Waren. Räucherstäbchenduft hängt im lauen Abend.

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Tag 4 Kathmandu/Hohe Luft und dichte Farben.

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Mein vorläufig letzter Tag in Delhi, schon früh geht es auf zum Flughafen. Ich habe das aufwachende Delhi noch nicht gesehen und es ist freundlich und ein bisschen verschlafen. Die Kühe sind wieder da und flankieren die Engstelle am Main Bazaar.

Der Flughafen ist der Einschub einer sterilen, westlichen Welt in dessen Duty Free man Cremes um 300 Dollar kaufen kann. Mein ganzer Aufenthalt hat mich bis dahin keine 60 gekostet. Den zweistündigen Flug nach Nepal verdöse ich mit verrenktem Hals wie das eben der Fall ist nach einer Nacht, die von kleinen bissigen Mücken mit Dreiecksflügeln, klebriger Luft und der Horrorvorstellung geprägt war, zu verschlafen.

Der Flughafen in Kathmandu ist anders, als alle anderen bisher. Ein großer, flacher Ziegelbau, mit Holzpaneelen in der Decke und rotgemusterten Teppichen. Am Weg hinaus fragt mich ein Wächter, ob ich abgeholt werde und als ich bejahe und das Kanghsar Guest House nenne, meint er, ich werde schon erwartet. Tatsächlich sind da zwei Männer und ein Junge, die mich mit meinem Namen begrüßen. Der Bub – Keran – setzt sich zu mir auf die Rückbank und redet wie ein Wasserfall, ein charmanter Kerl von 13 Jahren, der Physik mag und Chemie zum Einschlafen findet, der jeden Tag mit dem Mountainbike fährt (ich soll ihn doch begleiten) und der einmal Computer Ingenieur werden will. Im Hotel lerne ich seinen älteren Bruder kennen, den Hotelmanager, der früher auf einer Hütten in Österreich gearbeitet hat und gutes Deutsch spricht. Ich bekomme Tee serviert, süß und herb, die richtige Begrüßung. Das Zimmer ist im obersten Stock, mit Blick auf die anderen Dachterrassen, auf denen Blumen und feuchte Wäsche winken, es ist hell und freundlich.

Ich nehme die Stadtpläne, die ich bekommen habe und machen mich auf den Weg. Die ersten Minuten sind dabei immer die Schlimmsten, das weiß jeder, der sich alleine in einer fremden Stadt zum ersten Mal aus dem Hotel traut. Während des Gehens memoriert man den Weg, die Vorstellung, nicht zurück zu finden, sitzt einem am Rücken. Alles ist bunt und glänzend von der Nässe. Der Monsoon hat schon vorbei geschaut, aber jetzt hängt er griesgrämig über den Bergen fest. Ich suche mir die größeren Straßen im Plan und gehe drauf los, eine andere Möglichkeit gibt es ja doch nicht. Es dauert einige Minuten, bis man in den Rhythmus der neuen Stadt kommt. Er ist anders als in Delhi, wo die Hitze jeden Schritt in Watte packt, er ist belebter.

Der Thamel, in dem mein Hotel liegt, ist von den Geschäftsauslagen gesäumt, die mit ihren bunten Gewändern, Gebetsfähnchen, Filztaschen Freude machen, kaum aus ihm heraußen werden die Straßen breiter und der Verkehr wird schneller. Auf der Seite reiht sich Adidas Store an Pizza Hut und ich fühle mich zum ersten Mal underdressed. Ein Genuss ist es aber, kaum angesprochen zu werden, ich koste das bei einem Café Latte aus, den ich auf einem Hochsessel neben der Straße feiere, während ich die Vorbeigehenden beobachte.

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Weiter im Süden komme ich am Tundhikel vorbei, einem riesigen Feld mit hüfthohem Gras, das von breiten Trampelpfaden durchquert ist. Der Grund, der wie eine ungeordnete Kleinform eines Central Parks inmitten zweier Hauptverkehrsstraßen liegt, wird als Sportplatz genützt. Die einen spielen Cricket, die jüngeren Fußball, dahinter fliegt eine Frisbeescheibe. Ich umrunde das Feld und bekomme an einer Längsseite den zarten Geruch von Hanf in die Nase; tatsächlich wuchert eine Pflanze neben mir, die Blätter dem Wolkenhimmel entgegengestreckt wie kleine Hände.

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Am Kopf des Tundhikel schließlich sitzt der Asam Tole, der öffentliche Marktplatz, und hätte ich Angst vor Menschen, Hunden, Kindern und schlammigen Böden, würde ich die Zähne zusammenbeißen und trotzdem hineinspazieren, so verlockend sind die Farbmischungen.

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Weil ich aber herausgefunden habe, dass es nicht förderlich ist, auf so einer Reise Angst vor irgendetwas zu haben (gesunder Respekt ist besser. Und Bauchgefühl. Und Helmis Augen auf! Ohren auf! im Hinterkopf behalten, sollte alles gut gehen) spaziere ich in den Markt. Auf der rechten Seite umrunden Viererreihen einen Platz und der Gedanke, der in mir aufblitzt, ist dämlich: Hahnenkampf. Tatsächlich ist es ein Volleyballmatch, das hier von den Zusehenden ambitioniert angefeuert wird. Ich bleibe stehen, um zu fotografieren und werde von zwei Mädchen angesprochen. Die eine ist zehn, die andere neun und es sind die reizendsten Geschöpfe, die man sich vorstellen kann. Sie schlenkern mit den Köpfen, als ich sie frage, ob ich ein Foto von ihnen machen darf und rufen mir dann nach: Bye and see you tomorrow!

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Auf einer Wolke der positivsten Überforderung schwebend gehe ich neben einem Schmuckhändler in die Hocke, um mir einen Ring auszusuchen. Sofort sind wir umgeben von jungen Männern, die neugierig beobachten, wie viel ich wohl zahlen werde. Es ist einiges, und es ist gut, ich sehe, dass der Verkäufer zufrieden ist und ich bin es auch.

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Die Dunkelheit kommt bald, um kurz nach sieben ist sie da. Ich habe mir ein Restaurant gesucht, das nepalesisches Essen verspricht und bekomme mehr serviert, als ich alleine verputzen könnte. Es ist das erste richtige Essen, seit ich unterwegs bin, in Delhi war es zu heiß für diesen Luxus. Ich esse im Garten unter einem duftenden Baum bei Kerzenschein (und alleine, was die Romantik ein bisschen bricht – dafür ist die einsame Romantik von süßester Melancholie) und als ich gehe, ist es stockfinster. Nur aus den Geschäften kommt Neonlicht, die Heranfahrenden blenden mich. Es sind keine dreißig Meter nach Hause und der Stiegenaufgang liegt im Dunklen. Ich frage den Manager, ob das normal sei und er meint, City Problem, der Strom ist eben weg. Aber er wird wiederkommen, so wie der Regen, der gerade einsetzt und den Staub aus der Luft spült.

Dhal bat Linsen und Reis Nepalesische Küche

Tag 1/ Delhi. Der Geruch von Staub, Mangos und trächtigen Hündinnen

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Wien und Indien sind weit auseinander, das weiß man, Delhi ist nicht Hartberg und nicht Wörgl und nicht Dresden oder Sizilien, es ist nicht Europa, es ist weit. Und dass es anders ist, weiß man. Dass es nicht ist wie Simmering oder Barcelona oder Bukarest. Dass Delhi groß ist weiß man. Dass es geschätzte 16 Millionen Einwohner hat. Dass das zweimal so viele Einwohner sind wie in ganz Österreich leben. Dass es laut ist, hat man gehört. Dass es geschäftig ist. Dass es dort neben großem Reichtum noch viel größere Armut gibt. Dass Frauen buntes Gewand tragen und Männer mit Rikschas fahren, dass Kühe zwischen den Markständen stehen und dass so viele Menschen in dem Land sind, dass sich der Staat nicht um jeden kümmern kann. Das weiß man, wenn man Reportagen gesehen, oder Berichte gelesen oder von Freunden gehört hat, die dort waren.

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Sobald man den Flughafen verlässt, bleibt von dem, das man weiß, weil man sich informiert hat, eine zartseitige Erinnerung, die sich in den Hinterkopf drängt und dort sofort von den echtempfundenen Eindrücken zerdrückt wird.

Nach zwölf Stunden Reise sind die Körperfunktionen verdreht. Der Kopf hat vergessen zu schlafen und sendet Aufgeregtheitssignale, die in die Nervenzellen fahren und das Herz anpumpen. Aus dem klimaanlagenerkalteten Flughafen hinaus ist, als betrete man ein Dampfhaus im vollen Gewand. Der Taxifahrer, der mich abholt und ins Hotel fährt bringt mir schnell den ersten Grundsatz der Straße bei: „You don’t wait. Just go.“ Eine Verkehrsphilosophie die Europa höchstens in Rom zur Stoßzeit kennt, uns selbst dann in abgeschwächter Form. „Just go“ könnte transkribiert werden als: hupe und erschaffe eine Lücke, nutze die Lücke und überhole jedes Gefährt, das weniger PS hat oder kleiner ist. Bremse erst im letzten Moment (manche Fahrzeuge warnen davor, Abstand zu ihnen zu halten: Sharp breaks! Keep Distance!“) oder bremse gar nicht, navigiere das Gefährt, als hinge dein Leben davon ab, schneller als das Vehikel neben dir zu sein, ignoriere Ampel größtenteils und hupe noch ein bisschen mehr. Auf der Suche nach Sicherheitsgurten meint der Fahrer: „Safty belt no problem“, was leicht gesagt ist, weil Sicherheitsgurt erst gar nicht vorhanden. Die Straßen vom Flughafen weg sind breit und werden enger, je weiter wir fahren. Wir zwängen uns durch einen Bazar, der bunt und laut ist und an der engsten Stelle bleibt der Fahrer stehen, weil er einparkt. Am Weg zum Hostel nehmen wir zwei Nebengassen, eng genug, dass ich mit eineinhalb Mal Arme-Ausstrecken die Fassaden berühren könnte und trotzdem rumpeln uns Mopeds und Rikschas entgegen. Ich habe das Gefühl, nie wieder heraus zu kommen, geschweige denn, was doch immer die eigentliche Herausforderung ist, wieder zurück zu finden. Aber nach der Zeit, die man sich mit dem Jetlag im Genick nach der Ankunft gönnen muss, um nicht schon nach den ersten zweihundert Bazarmetern zu scheitern, bitte ich den Rezeptionisten zum dritten Mal, wie der Weg zur Ubahn nun wäre. Und dann hinaus.

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Es ist heiß, so unfassbar, dass es einem durch den Scheitel und durch die Brust dringt. Dazu die Feuchtigkeit. Es ist laut, so unfassbar, dass es durch die Schultern und Halswirbel direkt ins Hirn sticht und es riecht nach allem, wonach es riechen kann. Es riecht nach Indien und jeder, der schon in Delhi war, weiß jetzt wahrscheinlich, was ich meine. Es ist ein Geruch, der überall wabert und der sanft und scharf und süß ist. Es riecht nach frischen Mangos, nach Benzin, nach Räucherwerk, warmen Plastik, Schmieröl, Männerparfum, nach Menschendung, Jasmin, frittiertem Blätterteig, nach offenen Latrinen und Essensabfällen, nach trächtigen Hündinnen und Holzkohle, nach warmer Milch und mageren Kindern, Silberschmuck und Haschisch, nach Gold und Rot und Grün, nach zu viel Sonne und staubigen Asphalt. Die Häuser sind zweistöckig, den oberen Etagen fehlt oft die vierte Wand, offene Öfen, Schneiderein, dazwischen Wäscheleinen, eine Baustelle und Männer schleppen, Frauen schleppen, nackte Kinder spielen im Beton mit Beton, Rikschas, Fahrräder, Autos, Fußgänger, Hello Madam, Excuse me Madam, nice scarf, Madam, warme honiggetunkte Brötchen, weiter vorne frisches Lassi von der Straße, am Boden auf Zeitungspapier Verkäuferinnen mit ihrer Ware, where are you from? Which country? Oh Austria, Vienna! Nice country! Als ob sie dort gewesen wären, aber so freudig und dann ein paar Brocken Deutsch, Hallowiegehts! Das Anfahrgeräusch von Mopets und das ständige Gehupe, dann die Rufe von den Verkaufenden, dazwischen steht ein weißes Rind mit gedrehten Hörnern vor einen Wagen gespannt. Es hat Ketten um den Hals und ist mit rotem Henna bemalt. Es steht und wackelt mit den Ohren und kaut und blinzelt, wenn sich Fliegen neben seine großen Augen setzen. Ich stehe lang neben ihm, weil sich da ein kleiner Freiraum ergeben hat, eine umschwemmte Insel. Das Tempo geht weiter, in einer Flaute rutsche ich wieder hinein in die Straße und lass mich zur Ubahn spülen, die ich trotz meiner Orientierungskrise finde.

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Ich kaufe ein Token für die Fahrt, eine Plastikmünze im Wert von circa 15 Rupien, es funktioniert elektronisch. Durch die Körperkontrolle, das ist einmal was, dann kommt der Zug, ein moderner, schöner Zug. Hier ist Geld investiert worden. Drinnen, die erste richtige Erlösung, kalte Luft und weniger Menschen, als befürchtet. Eine Staion, umsteigen an einer Schnittstelle und dort erinnert werden an New York, da waren damals auch so viele Menschen und heiß war es auch, dann hinunter zur Central Secretariat, nach oben spülen lassen und den falschen Ausgang erwischen. Where wanna go Madam? India Gate? Too hot! Very far! Two kilometers! Only 10 rupies! Die Rikschafahrer haben ihr Geschäft gelernt, ich steige ein und ab die Post zum Gate, der Fahrer zählt auf, wo er mich noch hinbringen kann und was ich noch anschauen soll. Ich sag ihm, dass ich nur beim India Gate aussteigen will, um Fotos zu machen und dass ich später den Weg zum Präsidentspalast gehen werde, er schaut unglücklich drein, aber bleibt am Rand der Spur stehen.

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Das Gate ist dem Arc de Triomphe nachempfunden, zumindest stand das irgendwo und wahrscheinlich hat es ein Franzose geschrieben auf jeden Fall ist es riesig und unindisch. Männer mit Polaroidkamaras bieten an, Fotos zu machen, eine Frau ist an meiner Seite und will mir eine Hennazeichnung auf die Hand malen, ich fliehe zurück auf die andere Seite, auf dem Walk of Power, der breiten Triumpfstraße. Ich könnte im Schatten der Bäume gehen, lasse es aber bleiben, weil ich dort von jeder Männergruppe angeredet werde, die es sich auf der Wiese bequem gemacht hat und nutze den breiten Rasenstreifen zwischen Straße um Kanal. Trotzdem halten mich zwei Burschen auf und wollen ein Foto mit mir machen, nachher lachen sie, als ich ihnen sage, das kostet jetzt 10 Rupien. Der Weg zur Ubahnstation ist unerträglich heiß und lang, dann wieder durch den Bazaar nach Hause und von den drei Stunden Schlaf in mehr als dreißig Stunden Wachen nicht genug unterstützt dusche ich mir zu Hause den Staub und den Schweiß herunter, die zweite Erlösung an dem Tag, Hand in Hand mit dem Eiskastenwasser von der Rezeption, dann schlafe ich und träume seltsam. Am Abend besuche ich das andere Ende des Bazaars, dort, wo der Bahnhof beginnt und ich setze mich auf einen gemauerten Pflock und beobachte die Straße, bis es dämmert.

Am Abend störe ich einen der Hostelmitarbeiter, der gerade duscht, als ich auf das Dach hinaustrete, wo er seine Wohnung hat. Er lacht und sagt, dass ich nur zum Gitter vorgehen soll, dort ist die Sicht schön, dann seift er sich noch einmal ein und schöpft aus einem Kübel Wasser über seinen Kopf. Der Himmel ist gelb und rosa, dann wird er blaugrau. Auf den Dächern stehen Scherenschnitte von Männern und lassen Drachen steigen, weiter unten trainiert ein Mann mit einer Hantel, neben ihm läuft das Radio. Das Hupen ist weniger geworden.