
Im November dauert die Morgendämmerung so lang wie die Abenddämmerung und an Regentagen spielt der Himmel von grau auf weiß auf grau und dunkelgrau, dunkeldunkel. Am Morgen ist es kühl, vor dem Fenster des Sentrum Pensjonat holpert ein Koffer über die Regenrillen im Trottoir. Durch das Fenster zieht die Morgenluft und wirbelt den Orangenschalengeruch vom Heizstrahler. Ich werfe die Schalen weg, die sind hart geworden über Nacht.
Aus dem Bad am Gang kommt ein asiatisches Mädchen mit nassen Haaren und einem Hello Kitty Shirt. Wir sehen uns nicht an, als wir aneinander vorbeigehen, sie verschwindet hinter einer Türe, ich suche in der einen Spiegelhälfte, die nicht blind ist, nach meinem Morgengesicht.

Ich höre die Möwen, bevor ich das Meer sehe, und dann hebt sich aus dem Meer die Oper. In den Prospekten im Hostel war sie ein verschrobenes Bild rechts unten gewesen, jetzt stecke ich die Hände in die Taschen und bestaune sie aus der Ferne. Ihr Weiß schmilzt in den Himmel und Zinnsoldatmenschen wandern an ihr bergauf und bergab. Ich nehme ihre hellen Winkel und steige auf der einen Seite nach oben, dort wo die Sicht auf die neuen Glashäuser frei ist, die aus dem Boden gezogen werden, dann spaziere ich über ihren Rücken hinüber. Hinter den Fjorden ist der Himmel stählern, Möwen sitzen auf den Mauern.

Auf der Karl Johans Gate sind Menschen zu finden, Menschen mit Einkaufstaschen und Bettelschildern, dazwischen kreuzen die Schienen der Straßenbahnen, in den Nebengassen reflektieren die blanken Scheiben die gegenüberliegenden Fassaden. Am Kopf der Karl Johans Det Kongelige Slott, ein cremfarbener Bau am Rotbraun des Hügels. Davor die königliche Garde in ihrer braven Geschäftigkeit.

Unten am Meer, bei Aker Brygge verlieren sich die Farben in der ausbalancierten Architektur des Astrup Faernley Museums und fallen in das Wasser, das so ruhig liegt, als wäre es nur eine Kulisse.

Am äußerten Eck des Tjuvholmen Skulpturpark setzte ich mich an die Mauer. Der nede er havet, der oppe er skyene, beides paart sich im Fluchtpunkt. Das Licht wird weniger, es ist kurz nach drei.

Der Akerselva braut sich zwischen seinen schmalen Ufern zu einem Gischtberg, aber schnell ist er wieder eine ruhige Blindschleiche. Im Abendlicht der Straßenlampen glänzt seine grüne Oberfläche, an den Brücken treffen sich Hundebesitzer und nicken sich zu.

Ich wandere zurück zum weißen, spitzen Opernberg, weil ich die Nacht über der Stadt sehen will. Es ist hell geworden und ich stehe in Stille. Jeg tror, jeg ble forelsket. Kanskje jeg ble forelsket i deg, kjære Oslo.
