Ein leises Quietschen im Kopf, unbeugsam.

2. Mai 2022
Die Sonne blendet mich.
Habe ich erwartet, die alten Fassaden grüßen zu können, wie eine Bekannte lächeln,
ce mai faci?
Es fehlen die Häuser,
Stadtzahnlücken und Karies ist verplombt worden,
es fehlt die Universitatea Spiru Haret mit ihren schwitzenden Bleirohren und
dem Terrazzoboden,
dem Ausstieg durch die Dachluke zu den Tauben und
die Stromleitungen, zerfasert.
Es liegt nicht an der Sonne, es liegt an der Zeit, denke ich mir, die heilt doch einige Wunden, zumindest subkutan.  

3. Mai 2022
Auf einem Spielplatz begegne ich den Verfremdungen von Kindheitserinnerungen.
Die Donald-Duck-Wippe
ist im Ungleichgewicht, das Gesicht grün angelaufen
aber nicht vor Schräglage.

Ich möchte lieber zu den schwebenden Pferden; dort drehe ich meine Runden.
Es quietscht unter meinem Gewicht das Kettenkarussell,
es verheddern sich die Gedanken am Damals,
als aus einem Stecken ein Rappe wurde.

Der Metallgriff unter meinen Fingern riecht nach salzigen Kinderhänden und der Angst vor dem Erwachsenwerden.

5. Mai 2022
Weil die Meereswacht am Strand von Constanța unbesetzt ist, wird niemand gerettet.
Im Wasser sind aber nur Fische und Algen und Krebse und Wale und Kraken, ganz nah schimmern sie aus der Sandstrandbucht.

Ein Mann
kommt am Wellenrand entlang,
in seinem rechten Ohr steckt ein Bündel Petersil und
die Bänder der Turnschuhe schlenkern lose im Schrittrhythmus.

Sein Hund
trägt Sand im Fell und Welpenzuversicht im Herzen und
sein Kopf ragt über meine Hüfte, als er sich gegen mich lehnt.

Der Petersilmann macht Liegestütz gegen den Hochstand der Meereswacht und dreht seine Arme wie Windmühlenflügel.
Den Hund zu rufen mache keinen Sinn, sagt er.
Zu schwer sei er. Zu stark sei er.
Ein Ungetüm sei er.
Der Hund wiegt mehr als ich, sein spröder Fellrücken drückt gegen meine Beine, er lehnt sich gegen mich und ich lehne mich gegen ihn, so halten wir den Horizont.
Der Mann trabt einmal um den Hochstand, dann klatscht er und winkt und sprintet einige Meter über den Sand,
wie damals,
als er jung gewesen war, vor zehn, vor dreißig, vor hunderten Jahren, er und seine ungeschnürten Sportschuhe
und die fliegenden Sandkörner,
Amphibienstaub und
der Hund
stößt sich aus unserem Gleichgewicht und läuft hinterdrein.

7. Mai 2022
Im Untergrund hält sich der Schmierölgeruch von Waggons, die es nicht mehr gibt, Grottenbahn, das Quietschen der Züge hallt durch meinen leeren Kopf, nur kleine Gedanken bleiben hängen.

Atenție,

se închid uşile.

Achtung,

Achtung,

sonst bleibt die Ferse zwischen der Tür und dem Tunnel
klemmen.

Atenție, sonst bleiben die Gedanken stecken.

We never deserved those lingering eyes.

crossing oxford street

It was a few days before Christmas that I took a walk in London.
The weather was neither cold nor warm (or at least I didn’t notice) but in the sky there were bubbles and the pavement was plastered with spat out chewing gums.

sleeping on the train

How long the night must have been. How short the night must have been. How sharp the underground lights sting the heavy eyes.

chalk farm vintage christmas jumpers

I didn’t care for a Christmas jumper. Although they were marvelous.

sweet pink christmas cake

And I didn’t care for a pink piece of cake (someone else already did – halfway that is).

camden market leopard

Then I met beautiful people at Camden Market. Psychedelic Rabbits and Leopards and Bare Ankles and all laced in gold.

Jesus is watching you

From behind the window sill I felt a tingle. It was the CCTV watching me.

Sleeping beauty on the train

And the train guided me into my nothingness, lulling us into sleep; the machine a sudden caring mother.

feeding hungry pidgeons

My last friends. They left stains and the impression of their feathery weight on my arm.

Sigulda,Cēsis, Saulkrasti//Außerhalb, wo die Menschen aufhören

Riga Umgebung

Sigulda, wie herrlich das klingt, Sigulda im Mischwald, am Flussufer der Gauja. Wer in Sigulda eigentlich leben müsste, sind Frauen mit langen Zöpfen,mit geröteten Wangen und kräftigen Fingern und Rocksäumen, die beim Gehen über die Wiesen schleppen, und Männer, die im Sommer sonnenbraun sind und im Winter Schneeflocken in den Bärten haben. Die müssten hier leben und in Turaida und Krimulda, den anderen Stadtteilen, die nach Sagen klingen, und einen Hof müsste es noch immer geben, wo Pferde für das Tjostieren in den Wappenfarben geschirrt werden und Goldborten auf Ärmel genäht sind.

Sigulda

Aber vor dem Autofenster ziehen, sobald Riga nach Nordosten verlassen ist, die Wälder vorbei und Sigulda liegt in Spätsommerruhe. Die Parks sind leer und beim neuen Schloss haben die Rosen ausgeblüht.

Gutmannshöle Lettland

Dafür sammeln sich vor der Gutmannhöle, diesem seltsamen Sandsteingebilde mit den tags früherer Besucher spanische Touristen und machen Fotos, betasten die feuchten Bröselwände und verschwinden gesammelt wieder, ohne den Naturpfad weiter entlang gewandert zu sein.

cesis

In Cēsis ist herrscht nachmittägliche Ruhe. Am Hauptplatz wechseln Kleinstgruppen, auf der Baustelle neben der Kirche ist auch niemand, der Lärm machen würde. Ein Bub ist unterwegs und trägt sein Hündchen, dann rührt sich lange Minuten nichts. Das ist Cēsis an einem Septembernachmittag, Schwalben am Himmel, Häuser im Prozess der Restauration oder des stillen Verfalls, das könnte jede Kleinstadt sein, überall.

cesis

altes Gebäude Lettland

Cēsis Stadt

Cēsis Burgruine Castle

Und dann gibt es noch die Ordensburg, also, die Ruine der Ordensburg. Am Eingang bekommt man eine Laterne, um in der Dunkelheit der Wendeltreppe nicht verloren zu gehen, wenn man zum Dachstuhl des Turms hinauf will. Von oben aus kann man ins Land schauen, so wie die deutschen Kreuzritter des Schwertbrüderordens damals vor 800 Jahren. Und wahrscheinlich haben sie das gleiche gesehen:Cēsis Blick von Ordensburg

Und dann, irgendwo am Weg zwischen Valmiere und Saulkrasti zerfällt die Landschaft in Feld und Wald und Landstraße. Manchmal taucht ein Hof auf, mit Obstbäumen und Wäscheleinen, aber meistens bleibt es ruhig und leer.

Riga Umgebung

 Die Sonne geht lange unter, weil es so flach ist, und am Rand, dort fällt sie nicht ins Wasser, sondern zelebriert ihren Abgang in die Nacht.

Saulkrasti Beach

Saulkrasti Beach Sonnenuntergang

Saulkrasti Sunset